„Sie verbreiten Angst und Unsicherheit…“

Meine Erinnerungen an die Zeit im Bild 2

Zu erst einmal: alles Gute zum Geburtstag! 50 Jahre sind eine gewaltige Zeitspanne für ein regelmässiges TV-Programm. Die einzig andere Sendung, die ich mindestens so lange verfolge und die nur ungleich älter ist, ist der „Tatort“. Den habe ich auch selten versäumt (aber, zugegeben, weniger davon gelernt, viele Folgen davon waren, zugegeben, spannender als die ZIB2.) Ich würde übertreiben, würde ich mich an die erste ZIB 2 erinnern, obwohl ich sie sicher gesehen habe. Kuno Knöbl, Dieter Seefranz und Peter Pirker waren mir nach einiger Zeit sehr vertraut, Peter Pirker kannte ich übrigens von meinem zweiten zuhause, dem Klopeiner See. Er war dort im Reisebüro Springer tätig, in welcher Funktion genau, erinnere ich mich heute auch nicht mehr. Vier Jahre nach Beginn der ersten Sendung verabschiedete ich mich in die USA, dort beschränkte sich mein österreichischer Medienkonsum auf das Lesen, oder besser: Durchblättern einiger Tageszeitungen, die mit ca. einwöchiger Verspätung in unserem Büro in New York ankamen. Die meisten Informationen aus Österreich holte ich mir damals aus der Kurzwelle, über die das Mittagsjournal – wegen der Zeitverschiebung – schon in der Früh ausgestrahlt wurde.

Als ich nach fünf Jahren intensiver US-Medienbeobachtung nach Österreich zurückkehrte, wollte Anfangs im ORF niemand von mir wissen. Obwohl sich immer wieder hochrangige ORF-Funktionäre in Manhattan aufhielten und ich sie gelegentlich herumführte (da fiel einmal auch der Ausspruch eines Kollegen: „Wenn Sie zurück zum ORF wollen, es sind ihnen Tür und Tor geöffnet…“ und ich war der Tor, der daran geglaubt hatte…), musste ich eineinhalb Jahre auf eine Tätigkeit im ORF warten. Immerhin saß ich dann im gleichen Zimmer wie die von mir sehr geschätzten Robert Hochner und Josef Broukal und ich durfte erste Beiträge für die ZIB 2 gestalten. Irgendwann im Sommer 1986 moderierte ich ein paar Probesendungen und sass dann tatsächlich im August, so um den 20., auf dem Anchor-Sessel. Ich hatte einen Gast, es war der Chef der Gemüsebauer aus dem Burgenland, das Hauptthema an diesem Tag waren die gefallenen Preise für die Paradeiser. „Das ist also das Corpus Delicti oder“ (schliesslich stand ein Korb voller Tomaten vor mir)“ das Korbus Delicti, Tomaten aus dem Burgenland…“ – das waren meine ersten Sätze, unvergesslich. Nein, nicht unvergesslich, es gibt davon noch eine Aufzeichnung, deshalb kann ich das wörtlich wiedergeben…

Meine erste ZIB 2, August 1986. Man beachte auch den rauchenden Kollegen hinter mir.

Genau weiss ich die Zahl nicht, aber nach ca. 20 Moderationen war dann wieder Schluss. Ich wurde im Februar 1987 nicht mehr eingeteilt. Als ich bei der Chefredaktion nachfragte, sagte mir Horst-Friedrich Mayer ziemlich unverblümt: „Wissen Sie, Herr Freund, von unseren Zusehern haben wir erfahren, Sie verbreiten Angst und Unsicherheit über den Bildschirm.“ Ich war, gelinde gesagt, einigermassen erstaunt, dass man dazu 20 Sendungen gebraucht hat, aber ich konnte nichts dagegen tun. Meine Erklärung war eine ganz andere. Zum Jahreswechsel war Franz Vranitzky im Studio gewesen, die SPÖ war gerade dabei, eine große Koalition mit der Volkspartei einzugehen. Ich wollte von ihm wissen, was passiert, wenn „sich der Brei der großen Koalition über alles verbreitet und andere Stimmen nicht mehr zum Zug kommen würden.“ Ihn hat diese Frage nicht gestört, wie man aus der Antwort erkennen kann. Aber für die ORF-Oberen war das offensichtlich eine Frage zu viel, und so verkündete man mit leichter Verspätung das Ende meiner Moderationstätigkeit.

Interview mit Franz Vranitzky, Dezember 1986

Wenn ich mir heute die Sendungen ansehe, glaube ich zwar noch immer nicht, dass sich die Zuseher vor mir gefürchtet haben, aber ein richtiger Anchorman war ich damals jedenfalls nicht. 1986 war auch ein wichtiges Jahr in der Innenpolitik. Kurt Waldheim, der ehemalige UNO-Generalsekretär, bewarb sich um die Präsidentschaft. Mitten im Wahlkampf veröffentlichten das „Profil“ und die „New York Times“ Dokumente, aus denen hervorging, dass Waldheim seine diversen Tätigkeiten im Zweiten Weltkrieg, nun, „beschönigt“ oder gar nicht erwähnt hatte. Das Thema faszinierte mich und so durfte ich viele Beiträge dazu auch für die ZIB2 gestalten. Unter anderem berichtete ich über das druckfrische – auf Englisch verfasste – „Weissbuch“, das Waldheim von jeder Mitschuld an Verbrechen im 2. Weltkrieg „weisswaschen“ sollte. Vor allem für die ältere Generation war das Thema schwer zu verdauen. Das zeigte sich insbesondere bei Klaus Emmerich, damals ORF-Korrespondent in Washington, der immer wieder deutlich machte, auf welcher Seite er stand. Nirgendwo so eindeutig, wie nach der Ankündigung der Vereinigten Staaten, Kurt Waldheim die Einreise in die USA zu verbieten („Watch List“).

Die technische Affinität Robert Hochners, von der Armin Wolf in seinem wunderbaren Rückblick (https://www.arminwolf.at/2021/06/11/sir-robert/) auf den ersten wirklichen Anchorman im ORF geschrieben hat, zeigt sich auch im nächsten Video. Ich machte einen Beitrag über eine neue Videokamera, die man damals zu einem besonders günstigen Preis bei HARTLAUER kaufen konnte. Hartlauer unterbot mit seinem Angebot den Preis, den Sony seinen Händlern vorschrieb, Hochner war aber (wie ich) so begeistert von diesem System, das er den Beitrag unbedingt bringen wollte. Aber es wäre nicht Hochner gewesen, wenn er sich nicht eine besondere Präsentation ausgedacht hätte.

Robert Hochner 1987

Es gäbe noch viel über großartige ZIB2 Sendungen zu schreiben, auch über solche, die weniger gelungen waren. Zum Beispiel mein einziger Auftritt nach der Nominierung als Spitzenkandidat der SPÖ für das Europäische Parlament. Doch bis auf eine weitere Konfrontation mit Othmar Karas war das auch schon, was mein Erscheinen in der ZIB 2 betraf. In den 5 Jahren darauf als Mitglied des Aussenpolitischen Ausschusses wurde ich dann nicht mehr in die Sendung eingeladen. Das alles ändert freilich nichts daran, dass ich ein regelmässiger Zuseher der Spät-Abendnachrichten geblieben bin. 50 weitere Jahre werde ich nicht schaffen, möglicherweise auch die ZIB 2 nicht, aber wir halten durch, solange es irgendwie geht. Gerade jetzt ist die ZIB 2 notwendiger denn je.

Hier noch mein Nachruf auf Robert Hochner für den „Standard“ im Jahr 2001

Robert Hochner: Erinnerungen an einen TV-Profi (Juni 2001)

Es war irgendwann Mitte der Achtzigerjahre, ich war gerade nach fünf Jahren in New York wieder zurück in Wien: Hungrig nach und verwöhnt von den US- amerikanischen Informationssendungen sah ich mir eines Abends die ,,Zeit im Bild 2″ an – oder hieß die Sendung damals noch „Zehn vor Zehn“? 

Da saß er, hinter dem schwarz betuchten Tisch auf dem ,,Anchorchair“: der ,,Anchorman“ Robert Hochner. Top gestylt, den rechten Arm lässig von sich gestreckt, den Oberkörper zur Seite gelehnt, in der Hand meist einen Kugelschreiber, ein freundliches, offenes Gesicht und sooo amerikanisch: souverän, spritzig, intelligent, wie man es sonst nur von US- Moderatoren gewohnt war.Ein paar Monate später teilte ich mit ihm und Josef Broukal das Arbeitszimmer. Danach, ein halbes Jahr lang, den Bildschirm: Es war ein Contest, den ich nicht gewinnen konnte.

Sein Konterfei hätte – wie das seines großen Vorbilds, ABC-Moderator Peter Jennings in New York –die Autobusse in Wien zieren können, als das Aushängeschild der Informationsprogramme des ORF: ,,Nachts um 10: Robert Hochner in der ZiB 2″.

Aber Wien ist nicht New York – man hat ihn auch so gekannt, und nicht nur vom Bildschirm her: Er saß oft im Kaffeehaus und studierte dort internationale Zeitungen (während die anderen Besucher ihn musterten); ein Spaziergang durch die Innenstadt war für ihn wie ein Hindernislauf mit unsichtbaren Balken: In der mildesten Version starrten ihn die Leute einfach nur an und tuschelten hinter seinem Rücken. Die nächste Hürde musste er nehmen, wenn ihn Unbekannte grüßten oder auch ganz einfach mit Banalitäten ansprachen. Er beugte sich diesen Notwendigkeiten („Mein Chef ist mein Publikum“).

Und dann waren da noch die Prominenten, die man auch auf der Kärntner Straße trifft und die er eben kannte, weil sie in seiner Sendung zu Gast waren: der Generalsekretär, die Schauspieldirektorin, der Flugzeugkapitän.

Robert Hochner war freilich anders, er war nicht ,,verhabert“ mit der Prominenz, und wenn ihre Repräsentanten in der „ZiB 2″ auftraten, spielte er seine Professionalität und seinen kritischen Geist voll aus. Und kritisch war er.

Johannes Fischer, der viele Jahre sein Chef in der Redaktion war, erinnert sich: ,,Wir haben fast täglich miteinander gestritten, aber es ging immer um die Sache, es wurde nie persönlich.“  

Ausgerechnet „Stop“ hieß die TV-Sendung, bei der seine journalistische Karriere begann. Sie hätte genau so gut „Start“ heißen können. Dem Regieassistenten Robert Hochner war dieses Automobilmagazin mit dem Anspruch, kritisch sein zu wollen, zu seicht: Er meldete sich beim damaligen Redaktionsleiter Walter Schiejok, machte ihm konkrete Vorschläge, wie man die Sendung weniger auto-freundlich gestalten könnte. Verkehrssicherheit, Alternativen zum Automobil, der Kampf gegen Formel-Eins Rennen im Fernsehen – Robert Hochner hatte nicht immer die Massen auf seiner Seite, aber er war damit eindeutig seiner Zeit voraus. Schon damals zeigte sich, dass er ein schwieriger Zeitgenosse war, wie alle Einzelgänger, eine ,,Primadonna“, wie ihn später manche Kollegen bezeichneten, die sein Wissen mit Besserwissen verwechselten und sein selbstbewusstes Auftreten mit Arroganz.

Politik als Heuriger

Dass ihn „Die Zeit“ im August 1996 zum “souveränsten TV-Moderator im deutschsprachigen Raum“ erklärte, förderte seine Beliebtheit in der Zunft ebenso wenig. Auch wenn in diesem Artikel, natürlich, viele richtige und kluge Erkenntnisse über ihn und von ihm wiedergegeben wurden: Die Innenpolitik (damals noch schwarz-rot) ist ,,ein einziger Heuriger, unterbrochen durch Pressekonferenzen“; ,,Fernsehen ist keine Kanzel“; ,,Der Moderator ist nicht die Nachricht“; und (geradezu prophetisch): „Gespielte Betroffenheit, das ist für mich das Ärgste.“

Wie sagte doch Walter Cronkite, die CBS-Moderatorenlegende bei seinem Abschied vom Bildschirm? ,,Old anchormen don’t die, they just fade away.“

Was dich betrifft, Robert, wir sorgen dafür, dass Dein Vermächtnis nicht vergessen wird.

USA: Als Jörg Haider Österreich zu Schlagzeilen verhalf

Ein Rückblick auf den Februar 2000

Trommelwirbel. Musik. Eine sonore, bekannte Stimme dröhnt aus dem Fernseher: „Ein Echo aus nazistischer und antisemitischer Vergangenheit löst Angst und Zorn in Europa aus…weil ein früherer Bewunderer Hitler’s die Macht in Österreich erobert…“ Es ist der 4. Februar 2000, die „CBS Evening News“, die beliebten US-Abendnachrichten mit Dan Rather, zeichnen schon in ihrem Aufmacher ein erschreckendes Bild unseres kleinen Alpenstaates. Was, um Himmels Willen, war geschehen? Haben die Nationalsozialisten geputscht? Oder das Militär? Nein, natürlich nicht. Jörg Haider, der Kärntner Landeshauptmann und Parteiobmann der Freiheitlichen, selbst in den USA kein Unbekannter, hatte damals eine Koalition seiner Partei mit der ÖVP geschmiedet

CBS Evening News 4. February 2000

Schon zweieinhalb Monate davor – der Wahlausgang deutete auf eine derartige Rechts-Verbindung hin – bekam ich von den Freiheitlichen mein Fett ab. Unter der Überschrift: „ORF für österreichfeindliche Kampagne“ meldet sich bei der APA Peter Westenthaler, damals FPÖ-Generalsekretär, zu Wort. Als „Skandal“ wertet Westenthaler „das Auftreten des ORF-USA-Korrespondenten Eugen Freund, der bei einer Pressekonferenz des US-Aussenamts-Sprechers James Rubin diesen erst mit Fragen zum österreichischen Wahlausgang und zur FPÖ konfrontiert und damit das Thema künstlich erzeugt“ habe. Die Frage nach dem Wahlausgang kam allerdings nicht von mir, sie hatte ein kanadischer Kollege gestellt.

APA vom 7. Oktober 1999

Doch das warf damals schon ein eigentümliches Licht auf die Einstellung der Freiheitlichen zu Demokratie und Medienfreiheit. „Der Höhepunkt waren die gestrigen Hitler-Einspielungen im Beitrag des Herrn Freund aus den USA. (…) Der ORF…hätte die Pflicht, alles daran zu setzen, unqualifizierte Diffamierungen und Österreich-Beschimpfungen entgegenzutreten und sie nicht noch anzukurbeln,“ meinte Westenthaler. Tatsächlich hatte der CBS-Korrespondent in seinem Bericht aus Wien auch die Äusserungen Jörg Haiders zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ erwähnt und diese mit Bildern Hitlers bei seiner Fahrt durch die Bundeshauptstadt unterlegt. Natürlich erschien mir das signifikant genug, um es damals in meinem Bericht einzubauen.

Das Papier ist schon leicht vergilbt, 25 Jahre fordern ihren Tribut. Doch als ich die aufgehobenen Zeitungen von Anfang Februar 2000 meinem Archiv entnehme, ist alles bestens lesbar. Etwa der Artikel auf Seite Eins in der „Washington Post“: „Präsident Thomas Klestil nahm heute eine neue Koalition an, die die Rechts-aussen-Partei FPÖ inkludiert und damit Österreich in die schwerste diplomatische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg fallen lässt. Gleichzeitig werden damit die Beziehungen zu der Europäischen Union und den USA gefährdet.“ In der „New York Times“, ebenfalls auf Seite Eins, ist zu lesen, dass der Koalition „Jörg Haiders Anti-Einwanderer Partei“ angehört, die nun „auf einen Zusammenstoß mit der Europäische Union zusteuert, die Haiders Partei als fremdenfeindlich und extremistisch betrachtet.“

Haider hatte etwas geschafft, was noch keinem, oder sagen wir es vorsichtig: fast keinem Provinzpolitiker aus Europa vor ihm gelungen war: in respektierten internationalen Zeitungen in Schlagzeilen erwähnt zu werden, ohne dass hinzugefügt wird, um wen es sich dabei handelt. Sein Name sagte damals alles. 

 „Haider: We’re nice guys“ („Haider: wir sind nette Burschen“) titelte etwa die „New York Post“ (den Ausdruck „respektiert“ nehme ich für dieses Boulevardblatt kurz zurück). Und sogar die „New York Times“ hatte innerhalb eines Monats so oft über den Kärntner Landeshauptmann berichtet, dass der angesehene Korrespondent Roger Cohen ihm ebenfalls eine Überschrift widmete, in dem jeder Hinweis auf seine Herkunft oder Position fehlte: „Eine Theorie, warum Haider so zieht: Nicht Ideologie, sondern Marketing“. Cohen sieht sich für diese Erkenntnis auch dort um, wo das Phänomen Haider am besten erklärt werden kann: in Kärnten selbst. Das zeigt sich in der Ortsangabe, die in Artikeln der „NYT“ immer ganz am Anfang steht: „Bad Kleinkirchheim“. Schon die allererste Zeile lässt jeden Kärnten-Fanatiker aufjauchzen: „Hier in der Mitte eines Postkarten-schönen Österreich – Skipisten von Föhren eingerahmt, die Sonne blendet, Familien, deren Wangen rosig glänzen und die Punsch trinken…“ Auch die Anziehungskraft Haiders wird punktgenau erklärt: „Ein bisschen Thatcherism, eine Dose Robin Hood, ein paar Designer Label, ein Touch  von ‚Österreich-Erst‘-Intoleranz, ein Farbkleks von ‚Sagen-wie es-Ist. Dazu fanatische körperliche Fitness und heraus kommt ein moderner europäischer Magier, der es geschafft hat, seine Partei von 5 auf 27 Prozent hinaufzuschrauben.“ Und ein paar Zeilen weiter: „Also, der Prophet einer schlankeren Regierung, von mehr individueller Verantwortung und geringeren Staatsausgaben ist der gleiche, der ein ambitiöses Programm staatlicher Zuwendungen vertritt? Nun, ja, wenn das Stimmen bringt!“ Haiders sportliche Erscheinung findet auch in der „NewsHour“, des öffentlich-rechtlichen Senders PBS, Eingang.

Aus PBS „Newshour“ vom 4. 2. 2000

Hier wird über die Feier zum 50. Geburtstag des damaligen Landeshauptmanns berichtet, gleich in den ersten Sekunden wedelt Haider in einem „posh ski-resort“ über den Bildschirm. Doch so banal bleibt es nicht lange. Haiders vage Distanzierung von seiner Aussage, SS-Soldaten seien „ehrenwerte Männer“ gewesen, bringt ihn rasch wieder in die Nähe des Nationalsozialismus. Danach rückt in längeren Interviews die damalige „Presse“-Redakteurin Anneliese Rohrer zu seiner Verteidigung aus. „Eine Überreaktion“ und „kontraproduktiv“ sei die (ausländische) Berichterstattung über die Freiheitlichen gewesen, meint sie in einer Schaltung aus Wien. 

Ebenfalls weniger dramatisch sieht es Peter Jennings. Der aus Kanada stammende Anchorman der ABC „World News Tonight“ spricht Österreich und somit Haider nicht die demokratische Legitimation ab, und doch „Herr Haider ist entweder ein Rechtsextremer oder ein Populist, das hängt von ihrem Standpunkt ab…“

New York „Review of Books“

Alle EU-Mitgliedsstaaten hatten Sanktionen gegen Österreich eingeleitet. Der Historiker Tony Judt erklärt in einem ausführlichen Artikel („Tale From the Vienna Woods“) in der „New York Review of Books“, wie es damit tatsächlich aussah: „Weil Österreich keine EU-Regulative verletzt hat, sind die Sanktionen bilateral: obwohl alle Mitgliedsstaaten mitmachen, liegt die Europäische Union in keinem Streit mit Wien…“ Noch ein weiter „Promi“ greift in die Tasten. Für einen Gastkommentar für die „New York Times“ schreibt Salman Rushdie von „hässlichen Stimmen“, die da aus Österreich zu vernehmen sind, doch auch „Vetternwirtschaft und Korruption“ hätten die Wähler ebenfalls in die Hände von Haider getrieben.  

Noch viele Tage danach, also dem 3. bzw. 4. Februar 2000, waren Zeitungsspalten in den USA gefüllt mit kritischen Berichten aus Österreich. 

Nichts dergleichen wird diesmal zu sehen, hören oder zu lesen sein. Zu weit rechts sind in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten viele Länder gerückt, und das gilt besonders für die Vereinigten Staaten. Wer von einem autokratischen Präsidenten regiert wird, hat keine Zeit und keinen Platz, die Situation in Österreich genauer zu betrachten, egal, welche Geister hier gerade wachgerufen werden. 

Es wird eng in Donald Trumps Amerika

Beobachtungen von der Inauguration des 47. Präsidenten

Das große Amerika war auf 250 Quadratmeter zusammen geschrumpft: so klein(kariert) hat kaum noch eine Inauguration ausgesehen. Zuletzt hat sich diese Amtseinführungs-Zeremonie ins Innere das Capitols vor 40 Jahren zurück gezogen, weil es angeblich zu kalt dafür sei. Damals hatte es Minus 14 Grad, diesmal waren es Minus Vier. Auch wenn er es nicht – nie! – zugeben würde, es war wohl auch Donald Trumps Sorge, dass diesmal noch weniger Zuseher die Mall vor dem Parlamentsgebäude füllen würden als vor acht Jahren. Schon damals hatte Trump fälschlicherweise behauptet, niemals zuvor seien so viel Leute im Freien gestanden wie bei ihm.

 

Es ist – und es wird – eng

Diesmal konnte man die Besucher mit einem Zeigefinger zählen, denn in der Rotunde haben nur etwas mehr als 700 Menschen Platz. Sie ist eindrucksvoll, ich selbst war vor ein paar Jahren dort, vor allem der Blick nach oben, zur Kuppel, ist eindrucksvoll. Doch wenn man diesen Raum gemeinsam mit zehn anderen besucht, gibt es kein Gefühl der Enge. Dieses Gefühl der Enge  hat mir auch Donald Trumps erste Rede als Präsident vermittelt: es wird eng für Andersdenkende („In offiziellen Dokumenten gibt es nur mehr Mann und Frau“), es wird eng für illegale Immigranten („Ab morgen beginnen wir mit dem größten Abschiebeprogramm, dass die USA je gesehen haben.“) eng wird es für die Beamten des Justizministeriums („Die gemeine, gewalttätige Attacke des Ministeriums – und ich weiss, wovon ich rede – wird enden.“) Eng wird es für Panama und den Golf von Mexico – der eine soll heim ins Reich geholt, der andere umbenannt werden. Eng wird es für die Klimapolitik, ja sogar für E-Autos – leider hat man uns das Gesicht von Elon Musk nicht gezeigt, als der Präsident ankündigt, sich nicht länger an die Umweltvorschriften zu halten, wonach die Autofirmen eine bestimmte Anzahl an Elektroautos bauen müssen. Es wird eng. Ausser in den Bohrlöchern der Ölplattformen, dort soll nach „flüssigem Gold“ gebohrt werden, was das Zeug hält. Oder um es mit den Worten Donald Trump auszudrücken: „Drill, baby, drill!“ Nur wie auf diese Weise die Benzinpreise gesenkt werden sollen, wenn die USA jetzt schon der größte Öllieferant sind, das muss man mir noch erklären.

Der überragende Trump

Doch kommen wir zurück zum Atmosphärischen: den größten Unterschied zur Amtseinführung Donald Trumps vor acht Jahren verkörpert sein Sohn Barron. Er ist (sieht man von den Kindern des Vizepräsidenten JD Vance ab), der Jüngste und der Größte: wem immer er die Hand schüttelt, sein Gegenüber muss weit noch oben in das Gesicht von Barron blicken. Beim ersten Mal war er knapp zehn Jahre alt und wohl vier Köpfe kleiner. 

Barron Trump (18) überragt alle. (Foto aus der ORF-TV-Übertragung

Mehr als eine halbe Stunde müssen die Vorgänger-Präsidenten, bis auf Barack Obama alle schon deutlich über siebzig, stehend auf die Ankunft der Hauptpersonen warten: Joe Biden zieht mit seiner Frau Jill ein, Kamala Harris und ihr Ehemann, danach kommen JD Vance und seine indisch-stämmige Frau und als vorletzte Melania Trump. Michelle Obama bleibt den Feierlichkeiten fern. Sie wird gewusst haben, warum.

Melania gut behütet

Melania trägt ein elegantes, schwarzes Kostüm von Ralph Lauren und dazu einen breitkrempigen Hut, der so viel Schatten in ihr Gesicht wirft,, dass kaum ein Gesichtsausdruck vom Fernsehen eingefangen werden kann. Und auch die Kuss-Versuche Donalds scheitern an der breiten Krempe: wenn er seinen Mund zuspitzt, um den Kuss an Melanies Wange landen zu lassen, scheitert das Unterfangen. So schlau hat sich noch keine Ehefrau öffentlich ihren Mann vom Hals – oder vom Gesicht – gehalten.

Schliesslich marschiert Donald Trump ein, unter heftigem Applaus seiner Gefolgsleute. Wie immer in den USA bleibt auch die Trennung von Religion und Staat nur ein Gerücht: Gebetet wurde um die Mittagszeit in Washington um die Wette, jede Religion konnte einen Vertreter entsenden. Beim letzten Priester, einem Schwarzen, der sich geradezu in Rage redet, („Thank You God – we are free again!“) kann Trump sogar ein Lächeln nicht verkneifen. Das wiederum gefriert seinem Vorgänger Joe Biden, als er von Trump das Land beschrieben bekommt, das er in den vergangenen vier Jahren durch schwierige Zeiten, keineswegs erfolglos, geführt hat.

46 und 47 – es trennen sie Welten 

Donald Trump und Joe Biden, im selben Raum, doch es trennt sie Welten. Nr. 46 kann kaum glauben, was ihm Nr. 45 & 47 vorhält: Er zeichnet ein grimmiges Bild, spricht vom Niedergang, ja, vom Verfall der USA, der  ein Ende nehmen wird. „Unser Land hat gelitten, aber wir führen es wieder zurück!“ Ohne konkret zu werden, spricht er vom Verrat an den USA, den er zurück nehmen werde. Insgesamt beschreibt er sein Land als ein korruptes, kaputtes Territorium, das nur er, Trump, wieder zum größten Land der Welt aufbauen kann. Dazu soll auch das Militär beitragen. Weniger als Kampftruppe, die irgendwo im Ausland Stützpunkte errichten soll, sondern vorwiegend an der Grenze zum Süden, also Mexikos, um dort gegen Einwanderer vorzugehen. Eine Frage bleibt dennoch offen: wie soll Panama dazu gebracht werden, den Kanal wieder unter die Fittiche der Vereinte Staaten zu bringen. Etwa doch militärisch? 

Nach der Amtseinführung geht es gleich so richtig los: Donald Trump unterschreibt vor zehntausenden Anhängern in der Capitol-Arena mehr als 100 Dekrete – eine Unterschrift genügt, und es könnte sich viel ändern. Könnte, denn über geltende Gesetze kann sich auch Trump nicht hinwegsetzen. Zum Beispiel soll es keine automatische Staatsbürgerschaft mehr für Babys geben, die in den USA geboren werden – das aber ist Verfassungsgesetz, und kann nur mit zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments aufgehoben werden. Die Umbenennung des Golf von Mexiko ist auch nicht so einfach, da gibt’s eine eigene Behörde, die das überprüfen und umsetzen muss. Der Austritt aus der Weltgesundheitsbehörde (WHO) ist vorwiegend eine Geldangelegenheit – die USA zahlen viel ein, davon profitieren hauptsächlich arme Länder, die nun ohne ärztliche Versorgung bleiben könnten. Das Pariser Klimaabkommen hat Trump schon 2017 verlassen, jetzt kommt es darauf an, wie die Bundesstaaten und auch die Industrie reagieren. Davon hängt ab, wie hoch der CO2 Ausstoß der USA in den kommenden vier Jahren sein wird. Am meisten sorgen müssen sich jetzt aber die illegalen Einwanderer, auf sie kommen jetzt wirklich harte Zeiten zu. Oder anders ausgedrückt: für sie wird es nun wirklich eng.  

2024: Kriege, Krisen, Kritik ohne Ende

Wie schlimm war das Jahr wirklich? Ein Rückblick und ein Ausblick

Was für ein Jahr: der Krieg in unserer Nachbarschaft nimmt kein Ende, tausende sterben, zehntausende flüchten, auch zu uns. In den USA wird der Präsident nach nur einer Legislaturperiode aus dem Amt gefegt – von einem Kandidaten, der zeitweise mehr mit seinem fragwürdigen Verhältnis zu Frauen Schlagzeilen macht als mit zukunftsorientierter Politik. Das Thema Abtreibung spaltet die Gesellschaft, „Demagogen sind überall zur Stelle“ bemerkt das TIME-Magazin in einer Titelgeschichte. Und im Nahen Osten erreicht der Kampf zwischen Palästinensern und Israelis einen neuen Höhepunkt. Klingt alles wie aus den vergangenen Monaten, und ist doch schon zweiunddreissig Jahre her. Es war kein gutes Jahr, dieses 1992.

„Wir sind noch weit von einem Aufschwung entfernt“ – Der Chef des Instituts für Höhere Studien war – wieder einmal – nicht sehr optimistisch. Die Arbeitslosigkeit werde weiter steigen und die Entwicklung der Neuverschuldung sei „beängstigend“. Bei der Bekämpfung des Budgetdefizits müsse die Reduzierung der Staatsausgaben Priorität vor neuen Steuern haben. Kommt Ihnen auch das bekannt vor? Natürlich, nur ist es nicht von Holger Bonin und auch nicht von 2024. Diese pessimistische Prognose stammt von 2009 und kam damals aus dem Mund von IHS-Chef Bernhard Felderer. 

Wenn man ein bisschen in der Geschichte stöbert, stößt man schnell auf Parallelitäten. Der Krieg, von dem anfangs die Rede war, tobte noch näher an unseren Grenzen als die stete, blutige Eroberung der Ukraine durch Russland. Zehn Jahre dauerte der Zerfall des ehemaligen Jugoslawien, von 1991 bis 2001 – dann war einigermaßen Ruhe. 

Wir haben schon viele schlechte Zeiten erlebt, und danach wieder bessere. Doch wir wollten ja einen Blick in die unmittelbare Vergangenheit werfen, in das Jahr 2024. Was ist geschehen, das es wert ist zu erwähnen und was wird seine Auswirkungen auch auf die nächsten Monate oder Jahre haben. Sofern sich das überhaupt vorhersagen lässt.

ASIEN

China ist, nach Jahren relativer Stabilität, wieder zu einem unsteten Gesellen geworden. Vor allem für den Nachbarn Taiwan, der sich politisch von seinen Zieheltern nimmer weniger dreinreden lässt. Wie früher in einer Familie, in der die pubertierenden Kindern nicht gehorchen wollen, nimmt der Vater den Stock in die Hand und droht ihnen: „Wenn ihr nicht macht, was wir euch anschaffen, dann gibt es Schläge!“ In der Realität sind es Militärmanöver, die die Regierung in Peking in immer engeren Kreisen um die Insel veranstaltet, ohne freilich bisher einen Schuss abzufeuern. 

Taiwan ist weit entfernt, so werden sie vielleicht fragen, was uns das alles angeht? Hier ist eine Antwort: Auf dem Eiland werden die leistungsstärksten Microchips erzeugt, die vor allem für Geräte im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz verwendet werden – die Zukunftstechnologie schlechthin. 

Sollten also die kommunistischen Herrscher in Peking ihre Drohungen in die Tat umsetzen, wäre der Westen fast gänzlich von der Lieferung dieser Mikrochips abgeschnitten. Und dann gäbe es einen klaren Profiteur dieser Aktionen: es ist wiederum China. Freilich muss man  hier auch ein großes Aber hinzufügen: würden die USA, die seit Jahrzehnten ihre schützenden Hände über die kapitalistischen Brüder in Taipeh legen, einen chinesischen Überfall auf Taiwan einfach zulassen? Bis zur Wahl von Donald Trump hatte man keinen Zweifel daran, dass Washington diesem Schauspiel nicht unbeteiligt zusehen würde.

Mit Trump an der Macht ist das nun nicht mehr so klar. Wenn man sich allerdings die zahlreichen Milliardäre aus dem Silicon Valley ansieht, die voll und ganz hinter Trump stehen (oder wie Elon Musk manchmal sogar vor ihm), so kommen Zweifel auf, dass die USA bei einer solchen Aktion ihre Hände in den Hosensack stecken lassen würden. Ein Eingreifen der militärisch immer noch stärksten Supermacht könnte auch einen Flächenbrand auslösen, schliesslich haben sich Russland und China gerade in den vergangenen Jahren so eng angenähert, dass ihr Bündnis fast wie ein NATO-Vertrag zu betrachten ist: der Angriff gegen ein Land wird automatisch als Angriff gegen alle Mitgliedsstaaten betrachtet. 

Wird sich dieses einigermassen erschreckende Szenario verwirklichen? Ohne zu wissen, wie sich die Regierung Trump gegenüber China verhalten wird, lässt sich diese Frage schwer beantworten. Aus optimistischer Sicht könnte man sagen: keines der beiden Supermächte – und Taiwan schon gar nicht – hat ein Interesse an einem Krieg. Peking weiss zu genau, dass damit auch ein wirtschaftlicher Einbruch auf dem Festland verbunden wäre. Das ist das letzte, was dieses Regime brauchen kann – schliesslich könnte eine Ende des Export-Booms auch politische Unruhen nach sich ziehen, mit unvorhersehbaren Konsequenzen. 

RUSSLAND – UKRAINE

Der Krieg geht unvermindert weiter. Der Kreml, oder besser, dessen Hausherr Vladimir Putin – sieht keinen Grund, seine Feldzüge zu beenden. Umso weniger, als er auf immer schwächeren Widerstand durch das ukrainische Heer stößt und immer mehr Quadratkilometer Land an sich reisst. Und doch: der Blutzoll ist hoch. Daran haben auch die nordkoreanischen Truppen nichts ändern können, die den Russen zur Seite gesprungen sind. Auch sie beklagen täglich dutzende tote Soldaten. Alles hängt jetzt – wieder einmal – von Donald Trump ab. (Wie) wird er seine großspurigen Ankündigungen, den Krieg in 24 Stunden zu beenden, umsetzen? Werden die USA die Waffenlieferungen an die Ukraine beenden? Dann könnte der Eroberungs-Feldzug rasch völlig neue Formen annehmen. Kiew und auch die bislang fast völlig verschonten Städte im Westen des Landes wären dann ebenso in Gefahr, selbst ein völliger Zusammenbruch der Regierung um Präsident Wolodymir Selensky ist dann nicht mehr auszuschliessen. Putin hätte gewonnen, auf allen Fronten. Damit würde sich die europäische Vorstellung, die Ukraine als neutralen Staat zu erhalten, sehr rasch in Luft auflösen. Europäische Waffenlieferungen allein könnten das Loch, das fehlende amerikanische Raketen und Munition aufreißen würde, nicht wettmachen. Wie überhaupt Putin sogar ein viel weit reichendes Ziel im Auge haben könnte. Er lässt die Europäer so lange ihr ganzes Arsenal an die Ukraine schicken, bis die Bestände in Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und anderen mächtigen NATO-Staaten leer geräumt sind. Wie soll sich Europa dann verteidigen? Natürlich könnten die Länder noch mehr Geld in die Rüstungsproduktion stecken, doch angesichts der andauernden Krise im Bereich der Automobil- und Maschinenbau-Industrie würde das politisch kaum durchzusetzen sein.  Trump könnte, mit welchen Überredungskünsten auch immer, einen sofortigen Waffenstillstand erreichen und die Europäer dazu zwingen, ein paar zehntausend Soldaten zur Überwachung der (künstlichen) Grenze in den Osten und Süden der Ukraine zu schicken. Europa würde damit aber auch dazu beitragen, dass Kiew ein Drittel seines Landes verloren gibt. Dass anschliessende Friedensverhandlungen Moskau davon überzeugen würden, die mühsam eroberte Ostukraine (in der ohnehin russisch sprechende und/oder mit Russland sympathisierende Ukrainer leben) zurückzugeben, ist mehr als zweifelhaft. 

EUROPA

Neuwahlen des europäischen Parlaments im Juni, eine neue Kommission seit Dezember – Hoffnungen auf eine erstarkte Europäische Union werden sich nicht erfüllen. Im Parlament wurden jene rechten politischen Kräfte gestärkt, die alles andere als ein gemeinsames Europa im Auge haben. Nationalismus, die Keimzelle für die vielen Kriege, die Europa in den vergangenen Jahrhunderten  in blutige Schlachten verstrickt hat, dieser Nationalismus findet immer mehr Aufschwung. Gleichzeitig versinken die wichtigsten Träger des europäischen Gedankens, Deutschland und Frankreich (von Großbritannien, das sich mit Brexit und unter einer neuen linken Regierung erst wieder sortieren muss, ganz zu schweigen) in politischen und wirtschaftlichen Krisen. Emmanuele Macron hat sich durch die aus dem Blauen heraus gerufenen Neuwahlen des Parlaments völlig verkalkuliert und kann nur mühsam eine neue Regierung zusammen kitten. Sein wichtigster Nachbar, die Bundesrepublik Deutschland, befindet sich in einer zum Teil selbst verschuldeten wirtschaftlichen Krise, in deren Strudel auch die Ampel-Koalition mit hinein gerissen  wurde. Statt dass sich die EU nun auf ihre  eigentliche Stärke besinnt und sich als ernsthafter Gegenspieler (oder auch Partner) der neu aufgestellten Vereinigten Staaten von Amerika unter Donald Trump darstellt, gibt’s vorerst einmal business-as-usual. Mehr Einigkeit, ein Ende der (bislang notwendigen) Einstimmigkeit in wichtigen aussenpolitischen Fragen – alles Fehlanzeige. Ungarns Victor Orban, zuletzt auch die Slowakei, zumindest in der Person von Regierungschef Robert Fico, putzen die Klinken im Kreml. Übrig bleiben Polen und interessanterweise die italienische Ministerpräsidentin Georgia Meloni. Sie sind die neuen Bannerträger in der EU und halten die Union einigermassen zusammen. Die deutsch-französische Achse, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das führende Gespann Europas, wird vor Mitte des nächsten Jahres kaum eine Rolle spielen, wobei Frankreich nach vielen hysterischen Vorhersagen („Die Rechte kommt, die Rechte kommt!“) erst 2027 den eigentlichen Umsturz an der Spitze des Staates zu erwarten hat. Dazu kommen die Klimakrise, deren furchtbare Auswirkungen wir auch hier in Österreich jedes Jahr miterleben, der ständige Fortschritt, den Staaten außerhalb Europas im Bereich der Künstlichen Intelligenz erzielen. All das: keine guten Aussichten für Europa.

NAHER UND MITTLERER OSTEN

Zeichnet sich gerade dort, wo seit Jahrzehnten nur Unruhe herrscht, ein Hoffnungsstreifen ab? Können in Syrien ausgerechnet islamistische Terrorbrüder zu Vorreitern demokratischer Prozesse werden? Andererseits: wenn sich ein in London ausgebildeter Augenarzt zu einem der grausamsten Tyrannen und Folterknechte des Landes entwickelt, wer sagt dann, dass es umgekehrt nicht genauso möglich ist. Zu wenig Zeit ist noch vergangen, um die Entwicklung richtig einschätzen zu können, doch eines ist deutlich geworden: im Nachbarland Iran legen sich die Mullahs jeden Abend mit einem unguten Gefühl schlafen. So wie Bashar al Assad könnten sie eines Morgens aufwachen und zu ihrem Schrecken feststellen, dass die Revolution, die sie vor 45 Jahren eingeleitet haben, ihre Kinder entlassen hat. Derzeit leiden die Iraner ausser an staatlicher Repression hauptsächlich an mangelnder Energie: wenig Benzin, Schlangen bei den Tankstellen, tägliche Stromabschaltungen, die den Wirtschaftsprozess immer mehr in Unordnung bringen. Noch ist die staatliche Überwachung beinahe lückenlos – wie ein Spinnennetz zieht sich die Kontrolle  der Revolutionsgarden über das Land. Unter dieser Voraussetzung ist es schwer, eine geordnete Gegnerschaft zu den Machthabern zu organisieren. Ayatollah Chamenei ist mittlerweile 85 Jahre alt, sollte er nicht länger die Fäden in das Hand halten können, ist auch im Iran vieles möglich. 

Jerusalem

Für die Palästinenser war 2024 das schlimmste Jahr seit der Nakba, als zehntausende durch die israelische Staatsgründung 1948 aus ihren Häusern  vertrieben wurden. Ständiges Bombardement des Gazastreifens und gesperrte Grenzen liess ihnen diesmal keine Fluchtmöglichkeiten. Dass zumindest 30.000 palästinensische Zivilisten getötet wurden, geht nicht zuletzt auf einen Befehl der Regierung Benjamin Netanjahu zurück, wonach Soldaten keine Rücksicht darauf zu nehmen hatten, wenn ein ihnen verdächtiger Hamas-Kämpfer von zwanzig Zivilisten umgeben war. In manchen Fällen, so deckte die „New York Times“ erst kürzlich auf, wurde diese humanitäre Grenze sogar auf mögliche hundert tote Zivilisten ausgedehnt. Weder die Vereinten Nationen, noch der engste Verbündete, die  USA, konnten Israel von seinen unverhältnismässigen Kampfhandlungen abhalten. Durch das Trauma von 7. Oktober 2023, als Hamas-Terroristen die Grenzzäune durchbrachen und mehr als tausend israelische Bürger ermordeten und 250 Männer, Frauen und Kinder als Geiseln verschleppten, liess die Regierung Netanjahu alle Schranken fallen. Ähnlich gingen sie mit der Hezbollah im Libanon um, die sich mit ihren Kampfgefährten im Gaza verbündeten und mit ihrem Raketenbeschuss den Norden Israels zu einer No-Go-Zone verwandelte. Trotz aller Bemühungen, einen Waffenstillstand zu verhandeln und die Geiseln frei zu bekommen, ist es bislang zu keinen Fortschritten gekommen. Solange er „Kriegsherr“ ist, das weiss Netanjahu, wird man ihn mit irgendwelchen – in seinen Augen – fadenscheinigen Korruptionsanklagen nicht aus dem Amt jagen können. 

USA

Nirgendwo wird der demokratische Machtwechsel derart gravierende Auswirkungen nach sich ziehen wie in den Vereinigten Staaten. Donald Trump, mittlerweile acht Jahre älter und entsprechend ungehemmter als bei seinem ersten Wahlsieg 2016, kündigte schon im Wahlkampf ziemlich genau an, was er im Schilde führt: seinen Gegnern  den Prozess zu machen – dazu gehören Justizangehörige, die ihn angeklagt hatten aber auch Mitglieder der demokratischen Partei sowie jene Handvoll von Republikanern, die sich standhaft weigerten, ihn zu unterstützen. Er will Millionen von illegalen Einwanderern gewaltsam aus dem Land schaffen – und nicht nur solche, die gerade im abgelaufenen Jahr über den Rio Grande in die USA geflüchtet waren. Von seinen Drohungen im Bereich der Wirtschaft ganz zu schweigen: Zollerhöhungen sollen die Einfuhr ausländischer Waren so verteuern, dass – so seine Vorstellung – nur noch Produkte „Made in USA“ eingekauft werden. Das würde besonders die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union treffen, die zu den wichtigsten Handelspartnern zählen. Trump wird, ähnlich wie Putin, versuchen, die EU zu spalten und mit einzelnen Ländern (ein Zufall, wenn es nicht die gleichen wären, die jetzt wieder mit dem Kreml-Chef eine engere Bande schmieden…) eigene Deals abzuschliessen, die zum gegenseitigen Vorteil wären. Dann wären da noch Panama und Grönland, denen er kürzlich gedroht hat, sie zurück in den Einflusskreis Washingtons zu holen. 

Tritt all das ein, wäre es wenigstens keine Überraschung mehr. Doch wir haben es ja, man kann es nicht oft genug betonen, mit einem völlig irrationalen, um nicht zu sagen: durchgeknallten Machthaber zu tun. Was könnte ihm da noch einfallen, ihm oder seinen milliardenschweren Oligarchen, die alle schon ihre Füsse in die Türe zum Oval Office gestellt haben?   

FAZIT

Natürlich gibt es noch Schauplätze, die hier unberücksichtigt worden sind. Bestimmte Länder in Afrika, die schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten ihren Bürgern nicht das Notwendigste zum Überleben zur Verfügung stellen oder auch ihre Milizen gegen die eigenen Landsleute hetzen. In Mittel- und Südamerika sieht die Lage für Millionen Menschen trist aus, was sich auch an den Flüchtlingszahlen zeigt, die jedes Jahr an der Grenze zu Nordamerika gemessen werden. Oder, um auch etwas Positives zu erwähnen: Indien mausert sich von Jahr zu Jahr von einem unterentwickelten Dritte-Welt-Land zu einem machtvollen und reichen Industriestaat. Das lässt sich auch an den zahlreichen indischen Touristen ablesen, die in diesen Tagen die Wiener Innenstadt bevölkern.

Jeder Abschnitt der Geschichte hat seine Besonderheiten. Was heute einzigartig erscheint, trat in ähnlicher oder anderer Form schon einmal auf – siehe oben. Viel haben wir jedoch aus der Geschichte nicht gelernt. Auch das nicht: zu Beginn des Jahres 1989 hat niemand damit gerechnet, dass zwölf Monate später die Berliner Mauer gefallen sein wird, dass der Eiserne Vorhang gewaltige Löcher bekam und die Bewohner der Kommunistischen Staaten Osteuropas Ihre Peiniger abgeschüttelt hatten. Das alles passierte, ohne dass ein einziger Schuss gefallen ist. Das – wenigstens  das – sollte uns eine klitzekleine Hoffnung geben, wenn wir nun das neue Jahr ansteuern.   

Radio oder Zeitungen – können beide überleben?

Aus „The Nation“ vom 24. Dezember 1924

Jetzt sind also hundert Jahre vergangen, seit sich das Radio auf allen Kontinenten ausgebreitet hat und nicht nur „The Nation“ die „Überlebensfrage“ gestellt hat. Zeitungen gibt es noch immer, das Radio auch. Wie sich beide verändert haben, darauf werde ich am Ende eingehen. Doch was waren die Befürchtungen im Jahre 1924? Marc A. Rose, der Autor des Artikels in „The Nation“, lässt uns gleich am Anfang wissen, welche Fragen ihn bedrängen. Zum Beispiel: Was wird das Radio mit den Zeitungen anstellen? Wird das Radio den Verkauf der Zeitungen negativ beeinflussen oder sie gar zerstören, weil es einen Ersatz gibt? Vielleicht wird der Einfluss (der Zeitungen) zurück gehen? Oder könnte das Radio die Zeitungen gar unterstützen?

Auf die Nachrichtenagenturen, so liest man in dem Artikel, kamen schlechte Zeiten zu: der renommierten Associated Press wurde verboten, Sendungen zu gestalten oder auch nur Beiträge für Radiosender zur Verfügung zu stellen. Doch schon damals wurde das Verbot aufgeweicht: ein Mitglied der A.P., die Chicago Tribune, kündigte an, Wahlergebnisse zu übertragen und eventuelle Einschränkungen vor dem Obersten Gericht zu bekämpfen. Für Karl A. Bickel, den Chef der Konkurrenz-Agentur, der United Press, war eines klar: „Man kann das Radio nicht einfach in Luft auflösen. Ob wir es nun mögen oder nicht, es ist da.“

Zu jener Zeit – und danach viele Jahre lang – lebten die Zeitungen sehr gut von der Werbung. Für das Radio gab es vor hundert Jahren nichts derartiges. „Das ist die Situation heute,“ schreibt Marc Rose, „morgen wird dieses aufgeweckte, dieses wunderbare Baby entdecken, wie man damit auch Geld verdienen kann…Und was, wenn sie einen beträchtlichen Anteil ihres Gewinnes von den Zeitungen abschöpfen?“  Aus eigener Erfahrung – auch wenn diese keinen langen Zeitraum umfasst – war Rose der Ansicht, dass aus gebildeten Zuhörern, sagen wir: einer Ansprache des Präsidenten, auch Leser einer Zeitung werden, wenn sie es nicht ohnehin schon sind. Sich eine ganze Rede anzuhören, kann schon mal eine Stunde dauern, den entsprechenden Artikel in der Zeitung schafft man, argumentiert Rose, in einer viertel Stunde. Dazu kommt, so vermutete der Autor, dass die Übertragung öffentlicher Reden auch die Genauigkeit der Wiedergabe in den Zeitungen verbessern würde – denn die angenommenen Millionen Zuhörer würden sich sofort bei der Zeitung beschweren, wenn der Text nicht mit dem übereinstimmt, was sie im Radio gehört haben. Auch der „lautstarke Enthusiasmus“ und die „wilde Zustimmung“ der anwesenden Gäste, von der die Zeitung am nächsten Tag berichtet, muss stattgefunden haben, sonst würden empörte Leserbriefe folgen. Seine eigene Meinung – so sie wenig verklausuliert nicht ohnehin schon zwischen den Zeilen zu lesen war – gibt Autor Marc A. Rose im letzten Absatz wieder: „Radio lässt sich nicht fesseln, es wird eine immer stärkere Rolle als Verteiler von Nachrichten spielen. ABER als Verbündeter, nicht als Feind der Zeitungen. Und wenn ich falsch liege, kann ich immer noch Radio-Sprecher werden“

Rose hat mit vielem recht gehabt. Doch hundert Jahre später hat sich die gesamte Medienlandschaft geändert. Zeitungen leiden nicht unter dem Radio, sondern unter den weggefallenen Werbeeinschaltungen, die immer mehr zu US-dominierten neuen Medien abwandern: Youtube, Instagram, Facebook und die chinesische App Tik Tok, die sozialen Medien, sie alle saugen Commercials von den traditionellen Informationsträgern ab. Dazu kommen hohe Papierkosten und steigende Energiepreise, die den Verlegern zusätzliche Kopfschmerzen verursachen. Das Radio wiederum wird von Podcasts bedrängt, die immer mehr Hörer anziehen. Ob Zeitungen und Radiosender bis zum Jahr  2124 überleben, sehe ich nicht sehr rosig.  

Jimmy Carter 1924 – 2024

Ein unterschätzter Präsident und ein einmaliger Ex-Präsident ist gestorben

Der Nahe Osten – oder wie man das Gebiet in den USA besser beschreibt, „The Middle East“ – prägte die Amtszeit von Jimmy Carter (1977 bis 1981) wie kein anderes. Die Ölkrise liess die Preise an den Tankstellen in die Höhe schiessen (um das Heizen ein wenig billiger zu machen, schlug Carter vor – und illustrierte das auch an sich selbst – sich einen warmen Pullover anzuziehen); das Geiseldrama in Teheran, wo mehrere hundert amerikanische Diplomaten 400 Tage festgehalten wurden; der gescheiterte Befreiungsversuch, bei dem neun US-Soldaten ums Leben kamen; aber auch das Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten, die bis dahin mehrfach Krieg gegeneinander geführt hatten; auch Österreich hatte er besucht. Dort traf er mit dem sowjetischen Präsidenten Leonid Breschnew zusammen, um einen Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen zu unterzeichnen.  

All das musste der zum „Erdnussfarmer“ reduzierte frühere Gouverneur von Georgia in den vier Jahren seiner Zeit im Weissen Haus bearbeiten. 

1993, also ein gutes dutzend Jahre seit seinem unrühmlichen Abgang von der Spitze der Supermacht, war Jimmy Carter als Präsident längst vergessen – nicht jedoch seine Friedenstätigkeiten und sozialen Projekte, fast überall auf der Welt. Zu jener Zeit verfasste ich einen Bericht über Jimmy Carter für den ORF, nachfolgend ein Auszug davon:

Im Washingtoner Büro der Chicago Tribune beobachtet das Redaktionsteam die Arbeit  der einzelnen Präsidenten besonders genau. Die Zeitung gehört zu den angesehensten des Landes. Bürochef Timothy McNulty hat bisher über die Amtsführung von vier Präsidenten berichtet.  Drei davon sind nun Ex-Präsidenten. Einer heisst Jimmy Carter.

McNulty: “Er ist in vielerlei Hinsicht die Nummer Eins aller Ex-Präsidenten. Er ist jedenfalls ein viel besserer Ex-Präsident als er je ein Präsident war. Im Vergleich zu den anderen vier (Reagan, Ford, Nixon, Bush – Anm. d. Autors) ist er so etwas wie das Gewissen Amerikas, in vielen Bereichen, nicht nur innenpolitisch, wenn er darüber spricht, dass man Häuser für die Armen bauen muss, sondern auch im aussenpolitischen Bereich. Er ist sehr aktiv, wenn es darum geht, Konflikte zu bereinigen – vielleicht nicht die grossen weltpolitischen, aber zumindest im kleineren Rahmen.“

Jimmy Carter hatte gerade Nicaragua besucht, um sich dort über die triste Lage der Menschenrechte zu informieren. Danach hielt er zu diesem Thema mit Experten eine Konferenz in seinem „Carter Center“ in Atlanta im Bundesstaat Georgia ab:  „Das Problem ist, dass jedes Land Menschenrechte so definiert, dass es ihm am besten passt. Hier im Westen legen wir besondere Bedeutung auf die politischen Inhalte: Redefreiheit.  Religionsfreiheit. Versammlungsfreiheit. Pressefreiheit.  Während man in anderen Ländern viel mehr Bedeutung darauf legt, dass jemand ein zuhause hat, oder Arbeit, oder eine entsprechende Gesundheitsvorsorge….Wir können doch nicht von diesen Ländern erwarten, dass sie wirklich effektvoll mit dem Problem der Redefreiheit umgehen, solange die Menschen keinen Unterschlupf haben, nichts zu essen, keine Medikamente.  Die Konferenz wird definieren müssen, was Menschenrechte wirklich sind und was wir dazu beitragen können, um das Leid zu lindern. Und zwar in jedem Aspekt, nicht nur dann, wenn es darum geht, dass es möglichst nicht peinlich für dieses oder jenes Land wird….“ 

Ich frage Jimmy Carter, ob er irgendwelche Fortschritte im Bereich der Menschenrechte konstatiert: 

„Kaum einer. Natürlich gibt es jetzt mehr Organisationen, alle haben irgendetwas mit Beobachter-Komitees zu tun. Wir schauen was passiert und reagieren dann entsprechend…Aber sehen sie sich nur Somalia an, oder den Sudan oder 30 Jahre lang in Äthiopien, Mozambique, da reagierte die Welt reichlich spät, wenn überhaupt. Der einzige ermutigende Aspekt ist, dass die UNO in diesem weiten Feld von friedenserhaltenden oder friedensschaffenden Operationen nun viel selbstbewusster einschreitet – und das hat ja alles auch mit Menschenrechten zu tun. Das ist jedenfalls vielversprechend.“  

Angesichts des Krieges in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, im früheren Jugoslawien, ist es nur naheliegend, Jimmy Carter zu fragen, ob er eventuell bereit wäre, auch in diesem Konflikt vermittelnd einzugreifen.     

Carter: “Unsere Politik hier am Carter Center ist es, nicht andere zu kopieren oder das gleiche noch einmal zu unternehmen. Ich glaube, es reicht aus, dass nun sowohl von der UNO als auch von den Europäischen Gemeinschaften Unterhändler in Sachen früheres Jugoslawien unterwegs sind. Nur wenn man mich ausdrücklich fragen würde, von der UNO oder von einem bestimmten Land, dann würde ich gerne etwas unternehmen.“       

So wie damals, 1978, als er Israel und Ägypten dazu gebracht hat, das sogenannte Camp-David Abkommen zu unterzeichnen. Und damit den ersten Friedensvertrag zwischen den verfeindeten Brüdern im Nahen Osten. 

Jimmy Carter mit Cyrus Vance (li) und Zbginiew Brzezinski bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien (Foto: Eugen Freund)

Österreich – und nicht zuletzt auch österreichische Politiker – waren im Sommer 1979 Beobachter, als die beiden damals mächtigsten Männer der Welt, Jimmy Carter und Leonid Breschnjew, ihre Unterschriften unter das Abrüstungsabkommen Salt 2 gesetzt und es mit einem Bruderkuss auch quasi besiegelt haben …

Ich war damals als ORF-Berichterstatter auch schon dabei. Erinnern kann ich mich nur an einen besonderen Vorfall mit Jimmy carter. Der US-Präsident besuchte ein Konzert der Wiener Sängerknaben in einer Kirche in der Innenstadt. Ich stelle mich neben sein geparktes Fahrzeug und wartete auf ihn. Als er dann einsteigen wollte, rief ich ihm eine Frage zu. Weiter als zu „Mr. President…“ kam ich nicht. Schon packten mich vier starke Arme seines Security-Teams und warfen mich – gefühlt – ein paar Meter durch die Luft. Aus der Frage wurde nichts.

Aber ein paar Monate später dann die schwerste Demütigung: die Geiselnahme in Teheran. Über ein Jahr ist das Botschaftspersonal damals festgehalten worden. Jimmy Carters Rede zur missglückten Befreiung spiegelt die entmutigende Stimmung deutlich wieder. 

Jimmy Carter wurde abgewählt. Mit Beginn dieses Jahres sitzt nun mit Bill Clinton erstmals seit 1980 wieder ein Demokrat im Weissen Haus. Aber wann immer Clinton nun etwas falsch anfasst, wird auf Carters glücklose Präsidentschaft verwiesen. Was hält Jimmy Carter selbst von diesen Vergleichen ?                          

„Natürlich will man, dass die Amtszeit positiv bewertet und in entsprechender historischer Dimension betrachtet wird. Ich glaube, Bill Clinton hat ein ähnliches Problem wie ich es zu Beginn gehabt habe: es liegt einfach viel auf dem Tisch. Er versucht zu viel auf einmal zu erreichen. Und selbst wenn man sich in vielen Dingen durchsetzt, das, worüber geschrieben wird, ist das, was man nicht geschafft hat…Und wir haben nach vier Jahren einiges geleistet, auch was die Krisen dieser Zeit betrifft, im internationalen Bereich und zuhause – aber wir haben dem Kongress einfach zu viele Dinge vorgelegt und er war nicht in der Lage, sie alle zu erledigen.“

Jimmy Carter war acht Jahrzehnte mit Rosalynn verheiratet, sie starb vor rund einem Jahr. Die USA haben angesichts des Todes ihres früheren Präsidenten den 9. Januar 2025 zum nationalen Trauertag ausgerufen

Breyten Breytenbach 1939 – 2024

Am Sonntag, den 24. November 2024, starb der südafrikanische Dichter und Essayist Breyten Breytenbach im Alter von 84 Jahren in seiner Wahlheimat Frankreich. Er war ein strikter Gegner der Apartheit-Politik, heiratete 1962 eine Französin vietnamesischem Ursprungs und wurde 1975, als er mit einem falschen Pass nach Südafrika zurückkehrte, festgenommen und anschließend zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Danach wurde er nach Frankreich abgeschoben. Erst mit der Aufhebung vieler rassistischer Gesetze (unter anderem auch des „Mixed Marriages Act“) entschloss sich der Dichter, der viele seiner Werke in Afrikaans veröffentlichte, zurück zu reisen.
Als ich im April 1994 die ersten freien Wahlen in Südafrika für den ORF mitverfolgte, wollte ich unbedingt auch mit Breytenbach sprechen. Ich bin ihm damals nachgejagt, diesem südafrikanischen Intellektuellen, Dichter, Maler und Anti-Apartheid-Aktivisten. Mein Aufenthalt in diesem Staat, in dem das weiße Apartheid-Regime durch den schwarzen Regierungschef Nelson Mandela abgelöst werden sollte, durfte nicht ohne ein Gespräch mit Breyten Breytenbach zu Ende gehen. Ich versuchte, mit ihm telefonisch Kontakt aufzunehmen, scheiterte jedoch kläglich. Irgendwie erfuhr ich, dass er sich in einem Hotel in Durban aufhielt, und dort mietete ich mich auch ein. Noch am ersten Abend schob ich ihm einen Zettel mit meiner Interview-Bitte unter die Zimmertür. Die Hartnäckigkeit machte sich belohnt. Er habe wenig Zeit, ließ er mich wissen, doch am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, könne er mich treffen.
Vieles von dem, was er mir damals erzählt hatte, trat tatsächlich ein, in einigen Punkten war er zu pessimistisch. Doch gerade 30 Jahre später erscheint dieses Gespräch besonders faszinierend.

TRUMP IST ZURÜCK. DAS ZITTERN BEGINNT

Der 45. Präsident der USA wird auch der 47.

Eine Tragödie für die USA

„Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA ist nichts anderes als eine Tragödie für die amerikanische Republik.“ Dem ist wenig hinzuzufügen. Diese Beurteilung könnte von mir sein, ist es aber nicht. Sie stammt von David Remnick am Tag, als das Wahlergebnis feststand. Und er fuhr fort: „Es ist eine Tragödie für die Verfassung, und ein Triumpf jener Kräfte, die die Wünsche und Bedürfnisse der Amerikaner über die Interessen der Einwanderer stellen und ebenso der Kräfte, die Frauenfeindlichkeit, ein autoritäres Regierungssystem und Rassismus in den Vordergrund stellen.“ OK, David Remnick ist kein National-Konservativer, im Gegenteil, er ist der liberale Chefredakteur des amerikanischen Wochenmagazins The New Yorker. Oh, noch etwas habe ich vergessen: dieser Artikel erschien am 9. November 2016, also nach der ersten Wahl Donald Trumps. Man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass die ersten Zeilen seines dieswöchigen Leitartikels nicht viel anders lauten werden. Am ehesten werden sie noch etwas schärfer, dunkler ausfallen. Mittlerweile sind die ersten Sätze im New Yorker nachzulesen: „Donald Trumps Rache. Der frühere Präsident kehrt ins Weisse Haus zurück, älter, weniger gehemmt und viel gefährlicher als je zuvor.“

Die Wähler haben ein schlechtes Gedächtnis

Dass Trump wiedergewählt wurde – nach einer vierjährigen Unterbrechung durch die Präsidentschaft von Joe Biden – fusst auf mehreren Faktoren. Erst einmal: die Mehrheit der Wähler, oder jedenfalls derer, die ihn gewählt haben, hat ein ziemlich schlechtes Gedächtnis, was seine erste Amtszeit betrifft. Vor allem die konservativen Wechselwähler, das ergab eine Studie im März dieses Jahres, wissen genau, warum sie Biden ablehnen, aber sie haben schon vergessen, was ihnen an Trump nicht gefallen hat. Auch die jetzige Jungwähler haben keine Ahnung, was sich in der Regierungszeit Trumps abgespielt hat: Er wollte er mit allen Mitteln die Krankenversicherung, die Obama eingeführt hatte, zugrunde richten, doch das gelang ihm nur teilweise. Dafür schaffte er alles, was mit Umweltverbesserung zu tun hatte, mit einem Federstrich ab. Und das schlimmste: er hat diskredidierte traditionelle Medien so sehr, dass „Fake News“ von einem Schimpfwort zu einem Alltagsbegriff wurde. Dazu kommt: die freundschaftliche, ja beinahe liebevolle Erwähnung des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Un; dass Mexico – im Unterschied zu seinen Versprechen – natürlich den Grenzwall nicht bezahlt hat, den er errichtete, um die Immigranten fernzuhalten; dass er dem russischen Präsidenten Vladimir Putin mehr vertraute als dem amerikanischen Geheimdienst; dass er bei rechtsradikalen Ausschreitungen in Virginia von „sehr guten Menschen auf beiden Seiten“ sprach; dass er mitverantwortlich für den Sturm aufs Capitol war. Dass am Ende seiner Amtszeit kaum ein Regierungsmitglied, das er am Anfang ausgesucht hat, noch dabei war, haben auch schon fast alle vergessen. Für uns Europäer kam noch die völlig abwertende Haltung zur Europäischen Union hinzu, seine Drohung, die Amerikaner aus Europa abzuziehen. Und statt „America First“ galt für ihn bei Auslandsreisen immer „Trump First“: davon weiss vor allem Duško Markovič, der Präsident Montenegros, ein Lied zu singen. Er war es, den Donald Trump bei einem Brüssel-Besuch vor laufender Kamera grob zur Seite schob, nur damit er selbst in der ersten Reihe stehen konnte. Aus dem Pariser Klimaabkommen verabschiedete er sich rasch, auch aus dem Iran-Atom-Abkommen – so unter dem Motto: die Europäer sollen sehen, wie sie in diesen Bereichen ohne die Vereinigten Staaten zurechtkommen. Alles vergessen: ein kollektives Gedächtnis, das alle, oder jedenfalls die Mehrheit der Amerikaner teilen, ist im Zeitalter der Polarisierung und der sich gegenseitig bekämpfenden (sozialen) Medien kaum vorhanden. Das eizige, an das sie sich erinnern, ist, dass es ihnen finanziell damals besser gegangen ist. Ob das nun Trumps Verdienst war, oder er auf der Well geschwommen ist, die ihm sein Vorgänger Barack Obama hinterlassen hat, ist unbedeutend.

Ein „Entertainer“ im Weißen Haus

Zum Zweiten: Trump ist ein großartiger Medienmanipulator, ein „Entertainer“. Er weiss, wie man mit den bewegten Bildern umgeht, etwas, das vor ihm zum ersten Mal nur der kalifornische Schauspieler Ronald Reagan 1979/1980 und dann in den Jahren danach als US-Präsident bewiesen hatte. Das stärkste Bild, das von Trump in Erinnerung geblieben ist (auch wenn es durch noch so viele rhetorische Entgleisungen danach in den Schatten gestellt wurde), war seine erhobene Faust nach dem Schusswaffen-Anschlag am 13. Juli 2024 bei einer Wahlveranstaltung in Virginia. Damals hatte eine Kugel eines Attentäters sein rechtes Ohr gestreift, er ließ sich zu Boden fallen, raffte sich jedoch sogleich wieder auf, rief „Fight, fight, fight!“ (hinter ihm wehte eine riesige amerikanische Flagge) und wurde von Sicherheitsleuten vom Podium gezerrt. „Es war ein Zeichen Gottes, dass ich heute hier vor ihnen stehe,“ sagte Donald Trump in Anspielung auf das Attentat in seiner ersten Rede nachdem sein Sieg so gut wie feststand.
Ich würde freilich auch noch einwenden: nirgendwo fand sich so viel Heuchelei wie im Wahlkampf Trumps. Jedes einigermaßen ordinäre Schimpfwort wird normalerweise im US-TV ausgepiepst, doch der Präsidentschaftskandidat verwendete ununterbrochen derogatorische Bezeichnungen für seine Gegenspieler und vielfach auch gegenüber jenen Bevölkerungsgruppen, die er für seinen Siegeszug ja auch auf seiner Seite haben musste – vorwiegend Einwanderer aus Mittel- und Südamerika, manchmal auch die Afro-Amerikaner und gelegentlich auch Frauen. Egal. Er hat die Mehrheit der Wahlmänner-Stimmen und diesmal auch die Mehrheit der Bevölkerung erzielt.

Schuld sind die Demokraten

Wie konnte es so weit kommen? Noch nie hat im amerikanischen Wahlkampf die Partei des Präsidenten so spät einen Spitzenkandidaten aufgestellt, oder im konkreten Fall: ausgewechselt. Die Auseinandersetzung um die Spitzenposition im Staat beginnt in den USA mindestens eineinhalb Jahre vor dem eigentlichen Wahltermin. Für die Demokraten stand fest, dass ihr Kandidat der amtierende Präsident Joe Biden sein wird. In einigen Medien wurde zwar die Frage ventiliert, ob Biden nicht zu alt für das Amt sei, nicht jetzt, aber zur Mitte oder gegen Ende seiner zweiten Amtszeit, wo er dann schon Mitte achtzig sein würde. Doch diese Fragen blieben Theorie hinter vorgehaltener Hand. Bis, ja, bis zum 27. Juni 2024. An diesem Abend zeigte sich der wahre (Gesundheits-)Zustand Joe Bidens. Er war nicht mehr in der Lage, kohärente Sätze zu bilden, einfache Fragen zu beantworten, oder seinem Gegenspieler Trump Kontra zu geben – ein Bild, das ich von ihm schon im November 2023 gezeichnet hatte und das mich zur Ansicht führte, Biden würde seine Kandidatur frühzeitig zurücklegen. Der Termin – alles andere als frühzeitig – kam dann am 21. Juli 2024: „…im besten Interesse seiner Partei und seines Landes“ habe er beschlossen, kein weiteres Mal das Amt des Präsidenten der USA anzustreben. Der Rest ist dann sozusagen Geschichte: seine Vizepräsidentin Kamala Harris wurde in einem Blitzverfahren zur neuen Kandidatin bestimmt, nach Hillary Clinton die zweite Frau, aber die erste Farbige, die sich in die Schlacht warf. Und, wie zu erwarten war, von Donald Trump mit den bösartigsten Beleidigungen („dumm“, „verrückt“, „kriminell“, „geistig zurückgeblieben“, „irr“, „Kommunistin“, „Marxistin“, etc.) beworfen wurde. Ganz generell betrachtet ist es offenbar für die Mehrheit der Amerikaner schwer vorstellbar, dass vom Oval Office aus eine Frau, noch dazu eine Farbige, die Geschicke des Landes oder gar der Welt bestimmt.

Dunkle Zeiten

Was kommt also jetzt auf uns zu? Dunkle Zeiten! Für uns Europäer besonders interessant: Wird er, so wie schon in seiner ersten Amtszeit, auch diesmal versuchen, die Europäische Union zu spalten. Ungarns Viktor Orban hat er ohnehin auf seiner Seite, wird ihm Donald Tusk aus Polen nun auch folgen. Frankreich und Deutschland sind (innenpolitisch) so schwach, dass von dort auch wenig Widerstand zu erwarten ist. Und besonders: Auf welche Weise wird er den Krieg in der Ukraine – wie er es im Wahlkampf verkündete – in einem Monat beenden? Wie anders kann das geschehen, als dass er sich mit Vladimir Putin, den er gelegentlich als seinen Freund bezeichnet, darauf einigt, dass alles, was Russland in der Ukraine besetzt hat, behalten darf. Dass also die Ukraine einen beträchtlichen Teil seines Territoriums dem Aggressor überlässt.

„Diktator – wenn auch nur für einen Tag!“

Erfahrene Beobachter des neugewählten Präsidenten warnen vor allem vor seiner Irrationalität. Daher sind Vorhersagen über das, was er umsetzen wird und kann, nur mit Vorsicht zu treffen. Immer wieder wiederholte er seine Ankündigung, dass er am ersten Tag nach seiner Wahl (gemeint war wohl nach seiner Amtseinführung) ein Diktator sein möchte, „just for one day!“ Auch wenn das die Verfassung nicht hergibt, vieles liegt doch in seiner Macht. Wird er tatsächlich seine Gegner festnehmen und ins Gefängnis werfen lassen, wie er das androhte? Wird er tatsächlich Millionen von illegalen Immigranten zusammentreiben und über die Grenze bringen lassen? Wie soll das technisch vor sich gehen? Werden Spitzel die Polizei informieren und die Einwanderer, die sich irgendwo in ihrer Nähe versteckt haben, den Behörden verraten? Gehen die USA dann jenem Zustand entgegen, den Deutschland und Österreich (und dann auch andere Staaten Europas) in den Dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt haben? Wo hunderttausende Juden in Transportwaggons gepfercht und danach in Konzentrationslager geführt wurden? Ach, werden jetzt viele einwenden, das sind (waren) ja nur Sprüche des Wahlkämpfers Trump, es wird ja nie so heiss gegessen, wie gekocht wird. Doch in seiner ersten Ansprache fiel auch der entscheidende Satz: „Promises made – promises kept!“ – Also ich werde meine Versprechen halten. Das betrifft natürlich auch seine Androhung, seine Feinde vor Gericht zu stellen. Wer das nun genau ist und wie das vor sich gehen kann, darauf hat er sich nicht festgelegt. Doch man kann davon ausgehen, dass nun große Angst in diesen Kreisen herrscht.

Ein Spielzimmer ohne Erwachsene (und ohne Opposition)

Darüber hinaus gibt es noch einen wesentlichen Unterschied zu seiner vorigen Amtszeit: es gibt keine Erwachsene mehr im Spielzimmer von Donald Trump. Zu viele seiner ehemaligen Mitarbeiter haben sich – geradezu verächtlich – von ihm abgewandt, bis hin zu seinem früheren Stabschef, der ihn zuletzt sogar einen „Faschisten“ genannt hat. Jetzt kann sich Trump auf die Mehrheit berufen, die die Republikanische Partei auch im Senat haben wird und er außerdem nur noch von Ja-Sagern umgeben sein wird, die alles umsetzen werden, was er ihnen befiehlt. Von „checks and balances“ bleibt nicht mehr viel übrig – auch der Senat wird von Republikanern beherrscht, der Oberste Gerichtshof ist in seiner Hand, die etablierten Medien, längst völlig diskreditiert von ihm und seinen Leuten, spielen nur noch eine geringe Rolle. Trump hat alle Macht.
Eine schreckliche Vorstellung.

Ich schliesse mit den Worten des US-Historikers John Meacham. Er schrieb nach der Wahl Trumps: „Ich sehe ihn als einen Fehltritt in unserer Geschichte – als einen Mann, dessen Verachtung für unsere verfassungsmäßige Demokratie ihn zu einer einzigartigen Gefahr für die Nation macht…Keine ähnliche Figur in der amerikanischen Geschichte hatte je einen so starken Griff auf so viele (Institutionen). Das anders zu sehen, verringert das Gefühl der Dringlichkeit, nach der dieser Augenblick verlangt.


Peter Turrini – ein literarischer Kraftlackel (Profil März 1973)


Die einen halten ihn für einen »Theater-Wilderer« (»Pfälzischer Merkur«), andere für einen »echten Dra- matiker« (»Frankfurter Neue Presse«). Er heißt Peter Turrini, ist der derzeit fruchtbarste österreichische Lite- rat (seine Beaumarchais-Bearbeitung »Der tollste Tag« hatte am 10. März im Volkstheater ostösterreichische Erstaufführung, wenige Tage vorher kam in Klagenfurt sein Ein-Personen-Stück »Kindsmord« zur Urauffüh- rung), ist 29 Jahre alt und, wie er sagt, von Beruf »Hei- matdichter«.
Dass er Heimatdichter geworden ist, verdankt Turrini unter anderem dem designierten Anti-PEN-Klub- Präsidenten H. C. Artmann. 1970 zeigte Turrini dem längst Arrivierten auf der Frankfurter Buchmesse das Manuskript der »rozznjogd« (profil 2/72), und dieser empfahl dem Literatur-Neuling, das Stück nach Wien an einen Verlag zu schicken. »Und wie ich nach Wien kom- me«, staunt Turrini noch heute, »war das Stück schon ans Volkstheater verkauft.«
Der Weg zum Publikumsschocker und Serienschrei- ber brutal-hintergründiger Stücke war verschlungen. In der Klagenfurter Handelsakademie wirkte Turrini als »permanenter Störfaktor« und hasste vor allem den Deutschunterricht und die Schul-Theaterbesuche im Klagenfurter Stadttheater. Anders als seine Kollegen wanderte Turrini nach der Handelsschulmatura nicht in eine Bank, sondern zur VÖEST. Dort »schöpfte« er täglich bei Temperaturen von 60 Grad am Hochofen. Wenngleich er jeden Abend wie tot einschlief, erwachte sein »kulturelles Be- wußtsein«. »Wenn man Tag und Nacht arbeitet«, erinnert sich Turrini an sein sechsmonatiges Gastspiel am Hochofen, »kommt einem das ganze Kulturangebot lächerlich vor«.
Dennoch beschloss der »Kraftlackel« (Turrini über Turrini), nicht Kultur für die Werktätigen zu machen, sondern verdingte sich vorerst als Barmixer, Büroma- schinen-Vertreter, Magazineur und Maître d’Hotel, landete schließlich beim Bundesheer, rebellierte dort aus »Hass gegen Institutionen«, indem er eine Meldung musikalisch verzierte und dafür ins Gefängnis kam. Die- se Gefängnis-Episode machte auf den Jung-Revoluzzer nachhaltigen Eindruck. Heute hält er in Gefängnissen Dichterlesungen, engagiert sich für einen humaneren Strafvollzug oder auch für einzelne Gesetzesbrecher.
Sein Protest gegen das »Eingesperrt-Sein« veranlasste ihn auch, seinen bislang bestbezahlten Posten (Angestell- ter im Frankfurter Büro der amerikanischen Werbeagen- tur J. W. Thompson) aufzugeben und nach Griechenland zu fliehen, wo er ein Jahr lang auf einer kleinen Insel in einer Kommune lebte und plötzlich zu schreiben begann. Im Land der Obristen schreibt Turrini »rozznjogd« und die »Erlebnisse in der Mundhöhle« (Turrini: »Ich hab’ das nie für Literatur gehalten«). Zwei Jahre später gab es bei der Uraufführung der »rozznjogd« im Wiener Volkstheater den größten Publikumsskandal, den das Theater je zu verzeichnen hatte« (»Hannoversche Rundschau«). Der »Spiegel« schrieb von einem »rüden Show-Stück, das mit Herz und Hosenschlitz ganz am Geschmack des Publikums orientiert ist«. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« wiederum hatte »keinen Zweifel an Turrinis Talent«.
1971 entstand im Auftrag der Wiener Festwochen »Zero – Zero«, das vom Liebeswerben bis zum Werbe- slogan alle Sprachklischees beinhaltet. Da aber Publi- kum und Presse in ihrer Beurteilung jeweils noch eine Null beisteuerten, ging dieses »Kunst-Stück« (Turrini) unter. Turrini nicht: Sein nächstes Stück erschien schon ein halbes Jahr darauf, war aber in Titel und Thematik brisanter. »Ein Spiegelbild der Situation der Slowenen in Kärnten« nennt der Autor sein »Sauschlachten« – ein Schauspiel, in dem ein der menschlichen Sprache unkundiger, grunzender Bauernsohn denen zum Fraß vorge- worfen wird, die ihm nach Meinung seiner Verwandten ähnlich sind: den Schweinen. (Dass dieses »Sauschlach- ten« so weltfremd nicht ist, bewiesen ein paar Burschen im Kärntner Gurktal, die einen betrunkenen Knecht »zum Spaß« in den Schweinetrog warfen, wo ihm denn auch prompt die Genitalien abgebissen wurden. Das Ende Februar gefällte Urteil für die »Spaßvögel«: ein Monat Kerker wegen »versäumter Aufsichtspflicht«.)
In den Schweinetrog wollten auch viele Kulturhüter den Autor verfrachten: »Am besten wäre, man tät’ den Turrini den Schweindeln vorwerfen!« schrieb ein Ano- nymus an Turrini. Andere wiederum reagierten positiv. Hilde Spiel schwelgte in Superlativen: »Ausgezeichnet« sind seine Stücke, »begabt und vielseitig« ist er, und die Literatur-Lady konnte nicht umhin: »Er erinnert mich ir- gendwie an Heinrich Böll.« Dieser »angenehme Mensch, der so gute Kärntner Wurschtnudeln kocht« (Stammre- gisseur Bernd Fischerauer), ist für Friedrich Heer »ein junges, kämpferisches Talent, das echte Radikalität und waches, politisches Engagement zeigt«, kurzum »eine al- lerfreulichste Erscheinung«. Doch Turrini, stets schwarz gekleidet und mit einem bunten Seidenschal um den Hals, ist auch eitel, nervös, unsicher, gehemmt. In einem größeren Forum, bei Diskussionen wirkt er zwar souve- rän, sobald man ihm aber allein gegenübersitzt, wird er unsicher (»Hab ich das wirklich gesagt?«) und versucht, diese Unsicherheit hinter Zigarettenrauch zu verbergen. Die so verpestete Luft will er mit Hilfe einer ständig brennenden Kerze verbessern; gelüftet wird, wenn über- haupt, immer erst nach der Arbeit, und oft arbeitet er Tag und Nacht.
Eine Arbeit, die zudem das erste Zusammenspiel zwi- schen Turrini und dem Burgtheater bedeutet hätte, schei- terte jedoch, bevor sie noch richtig anfing. Die Altbühne wollte vom Jungautor eine wörtliche Übersetzung von Goldonis »Mirandolino«, er aber (»Ich bin ja kein Dolmetscher«) verweigerte dies.
Wie er es auch schon mit Beaumarchais’ »Tollem Tag« gemacht hatte. Turrinis Bearbeitung wurde Mitte März in Wien erstaufgeführt. Schon 1972 wischte die konser- vative Wochenzeitung »Christ und Welt« eventuelle Be- fürchtungen vom Tisch: »Wer glaubte, hier hätte einer abgeschrieben, weil er sich ausgeschrieben hat, der war auf dem Holzweg.« Aber auch die Wiener Zuschauer, die bis zur Pause das Stück für eine anspruchslose Komödie hielten, sahen sich nach dem Brötchenschmaus auf dem Holzweg. Turrini dreht nämlich den Mechanismus von Macht und Witz um, lässt Figaro den Grafen Almavi- va erdrosseln, nicht ohne ihm vorher noch schnell Jus- tizmord vorzuwerfen: »In Spanien wird die Gerechtig- keit abgetrieben!« Bei Turrini wurde letzte Woche auch in Klagenfurt abgetrieben. In seinem volkstümlichen Schauerdrama »Kindsmord« (einzige Darstellerin: Turrini-Ehefrau Corinna), das im großbürgerlichen Milieu spielt, geht es um den Paragraphen 144. Das Stück ist im »dramatischen Zentrum« auf der Wiener Freyung unter Mitwirkung von Schauspielern, Regisseuren und Psy- chologen entstanden. Turrini wirkt auch als »bezaubern- der Schauspieler« mit. Als das Volkstheater zwei Tage vor der Premiere der »Gräfin von Rathenau« wegen ei- ner Erkrankung eines Schauspielers, der noch dazu Itali- enisch sprechen musste und konnte, in arge Bedrängnis geriet, sprang Turrini ein und ließ die »Presse« nachher aufjubeln: »Ein Naturereignis überstrahlte den Abend.«
Dieses »Naturereignis« überstrahlt neuerdings auch die bisher immer etwas lustlos geführten Sitzungen des PEN-Klubs. Nach dem Abgang des monarchischen Mo- nokelträgers Lernet-Holenia wurde Peter Turrini in den Vorstand kooptiert. Zusammen mit Prof. Friedrich Heer versucht er, mehr Leben und mehr Literaten in diesen exklusiven Klub zu bringen, bislang freilich ohne sichtbaren Erfolg.

P.S. Das war mein erster großer Artikel für das Profil, für das ich von 1972 bis 1974 als freier Mitarbeiter arbeiten durfte.

Das TV-Duell Kamala Harris vs Donald Trump

Knapp zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen trafen sich Kamala Harris und Donald Trump zur einzigen TV-Konfrontation dieses Wahlkampfes.
Wer gut abschneidet, muss diesen Eindruck jetzt noch sieben Wochen pflegen, wer durchfällt, hat die gleiche Zeitspanne, um alles – oder zumindest einiges – wieder gutzumachen. Doch wie haben sich die Kandidaten geschlagen?

Eigentlich hätte heute Nacht Joe Biden gegen Donald Trump diskutieren sollen. Es wäre das zweite Aufeinandertreffen der beiden alten Männer gewesen, „wäre“ wenn nicht. Ja, wenn nicht das erste so desaströs für Biden ausgefallen wäre und danach alle sehr schnell ging: der Präsident zog sich zurück, seine Vizepräsidentin wurde aufs Schild gehoben. Von den zwei alten Männern blieb nur noch einer übrig. Donald Trump. Und ihm gegenüber stand nun eine zwanzig Jahre jüngere Frau.
Es dauerte nur wenige Minuten bis Donald Trump sein Lieblingsthema auftischte: die Einwanderung: „Sie – Harris – und Biden haben dazu beigetragen, dass Millionen von Menschen, aus Gefängnissen, aus Krankenanstalten, aus psychiatrischen Anstalten über die Grenze strömen, Terroristen, Drogenhändler, mit Gewalt Städte übernehmen und ein Chaos hinterlassen.“ Eigentlich wollten die beiden Moderatoren dieses Thema erst später aufgreifen, doch Trump will damit unbedingt stechen. Es gelingt ihm auch, weil Harris dazu kaum etwas zu sagen hat, lieber auf das Wirtschaftsprogramm – ihres und das „katastrophale“ ihres Gegners – zu sprechen kommt.

Viele Themen, wenig konkretes

Nächstes Thema „Abtreibung“ – Trump wirft den Demokraten vor, Babies im neunten Monat, nach der Geburt, „hinrichten“ zu wollen, Kamala Harris’ Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz habe gesagt „es sei in Ordnung, ein Baby nach dem 9. Monat umzubringen“. Nur durch die weise Entscheidung von sechs Richtern des Obersten Gerichtshofs ist es nun den einzelnen Bundesstaaten überlassen, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Harris schlägt zurück: Natürlich sei das wieder eine Lüge des Gegenkandidaten, es sei eine Beleidigung für Frauen, ihnen vorzuwerfen, eine Abtreibung im 9. Monat zu verlangen.
Trump kommt auf sein Lieblingsthema zurück: die Einwanderung. Wer geglaubt hat, es kann nicht tiefer gehen, wird eines Besseren belehrt. Trump wirft den Immigranten vor, Hunde, Katzen und andere Haustiere zu töten und zu essen – egal wo sie sind, die armen Tiere sind vor ihnen nicht sicher. Harris kann nur lachen. Das macht sie übrigens gerne und oft – gelegentlich führt sie auch ihre Hand ans Kinn und sieht Trump, kopfschüttelnd, ungläubig an.
Keine Antwort bekommt Moderator David Muir von Trump auf die Frage, ob er, angesichts der gewalttätigen Vorfälle am 6. Jänner 2021 (als ein wütender Mob das Capitol stürmte) irgendetwas bedauere. Selbst als die Frage wiederholt wird, reagiert der frühere Präsident mit seinem Lieblingshinweis, was gegen die Millionen Eindringlinge getan wird, die über die Grenze strömen.

Trump ist wütend, hasserfüllt

Nach einer Stunde ist eines klar: Trump verkörpert den wütenden, bösartigen, hasserfüllten, mit Lügen und Übertreibungen um sich werfenden Kandidaten, der sein Land während seiner Amtszeit als eines von Milch und Honig fliessenden bezeichnet. Harris schlägt gelegentlich hart gegen Trump zurück („Sie lieben Diktatoren, sie sind eine Schande!“) versucht aber einigermassen ausgleichend zu bleiben und nicht ständig die Vergangenheit neu aufzurollen.
Auch die Ukraine wird diskutiert: Trump wiederholt sein Mantra, unter ihm hätte der Krieg nie begonnen, jetzt würde er den Krieg in 24 Stunden beenden „Ich würde Putin anrufen, ich würde Selensky anrufen, und das Sterben von Millionen Menschen würde sofort aufhören. Und die Europäer würden mehr zahlen als wir…“
Harris hat eine Antwort parat: „Wir müssen unsere Freunde unterstützen und nicht unsere Feinde, wie es Trump mit den Diktatoren tut. Schauen Sie nur, wie er mit den Taliban umgegangen ist – er hat sie sogar nach Camp David eingeladen, diesen historisch so bedeutenden Ort.“

Im Schlusswort verweist Kamala Harris neuerlich auf die unterschiedlichen Visionen: „Er, Trump, spricht von der Vergangenheit, ich richte meine Blicke in die Zukunft. Meine Absicht ist es eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein.“ Trump wirft Harris zum Schluss vor, all das, was sie nun vorhat, hätte sie schon in den vergangenen dreieinhalb Jahren erledigen können. „Wir werden ausgelacht, wir sind ein Staat im Untergang. Sie zerstören unser Land, mit dem schlechtesten Präsidenten, der schlechtesten Vizepräsidentin aller Zeiten.“

Ein „totes Rennen“

Die letzten Umfragen in den USA sprechen von einem toten Rennen: zwischen Donald Trump und Kamala Harris liegt ein einziger Prozentpunkt (48 zu 47 Prozent) – betrachtet man die Fehlerquote von rund 3 Prozent nach oben und nach unten, lässt sich der Wahlausgang heute nicht vorhersagen. Die Analyse wurde noch vor der TV-Debatte erhoben, wobei auch ein weiteres interessante Detail heraus gekommen ist: die WählerInnen wissen von Harris zu wenig. Daran hat auch das langanhaltende und lautstarke Hurra für die erste farbige Kandidatin nach dem Abgang von Joe Biden nichts geändert. Immer noch sagt mehr als ein Viertel aller Wähler, sie wüssten gerne mehr über und von Kamala Harris, während Trump fast alle (bis auf 9 Prozent) für ein beschriebenes Blatt halten. Für Harris stand also heute viel auf dem Spiel. Die (jetzt einmal geschätzten) 50 Millionen Zuseher in den USA haben nun in jedem Fall ein besseres Bild von Kamala Harris. Ob es reicht, sie an die Spitze des Staates zu hieven, wird man wohl erst am 5. November wissen.
Oder doch schon heute? Es gibt da jemanden, der davon überzeugt ist.

Der Geschichtsprofessor setzt auf Harris

Er vergleicht seine Methoden mit der Position des Polarsterns: „absolut konstant“. Der Geschichtsprofessor Allan Lichtmann sagt voraus, wer die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt. Und er hat seit 40 Jahren immer recht gehabt, mit einer Ausnahme – als im Jahr 2000 Al Gore das Rennen gegen George W. Bush verlor. Oder besser, als damals der Oberste Gerichtshof entschied, wer die Wahlen gewonnen hatte. Noch vor der heutigen TV-Debatte legte sich Allan Lichtmann auch diesmal fest: die Wahl wird Kamala Harris gewinnen. Für sie sprechen 8 von 13 Entscheidungsgrundlagen, die sich auf die Stärke und die Leistung des Weissen Hauses beziehen, nur zwei davon fokussieren auf die Kandidaten selbst. Alle andere betrachten das politische Umfeld. Also etwa: wie hat die Partei in den Zwischenwahlen abgeschnitten (also wo es um Parlaments- und Gouverneurswahlen geht); wie entscheidend ist ein eventueller dritter Kandidat, wie hat sich die Wirtschaft kurzfristig und längerfristig entwickelt; gab es soziale Unruhen; oder Fehler bzw. Erfolge in der Aussenpolitik. Einige Punkte sprechen laut Lichtmann für Trump (etwa, dass Biden selbst nicht mehr kandidiert), andere wiederum helfen den Demokraten („Die Wirtschaft ist NICHT in einer Rezession“ oder „Biden hat in wesentlichen Punkten die Politik geändert“, etwa was das Pariser Klimaabkommen betrifft, dem die USA wieder beigetreten sind). Jeder einzelne Punkt bringt einen Vorteil für den einen oder die andere Kandidatin – am Ende siegt, so sagt der Professor voraus, Kamala Harris relativ deutlich mit 5 Punkten. Eine gewagte Prognose. Nach der heutigen TV-Debatte könnte durchaus ein sechster Grund dazukommen.