Katar: Nach Lob ein Orden

Was bislang im EU-Parlaments-Skandal unerwähnt blieb

Pier Antonio Panzeri, einer meiner Kollegen während der Zeit, die ich im EU-Parlament verbrachte, will nun zum Katar-Korruptions-Skandal aussagen. Er erhofft sich eine Art „Kronzeugen-Status“ mit der Chance auf eine geringere Haft. Ich habe selbst in dieser kriminellen Angelegenheit auch ein wenig recherchiert und bin dabei auf interessante, noch nirgends veröffentlichte Informationen gestossen. 

Seltsam. Unter normalen Umständen wäre mir eine derartige Meldung nicht aufgefallen. Doch die „Gulf Times“, ein quasi offizielles Organ des Golf-Staates Katar, berichtete am 24. April 2017 recht ausführlich über den Staatsbesuch aus Kroatien: Kolinda Grabar-Kitarovic war nicht nur „Zeugin, als einige Dokumente unterzeichnet wurden“, sie überreichte „seiner Königlichen Hoheit, Emir Sheikh Samin bin Hamad al-Thani den höchsten staatlichen Orden der Republik Kroatien, den Großen Orden von König Tomislav, mit Scherpe und Großem Stern,“ Das ist insofern bemerkenswert, als sogar die offizielle Seite der katarischen Botschaft in Zagreb zugeben muss, dass es „keine Investitionen aus Katar in Kroatien gibt, jedenfalls nach Informationen, die der Botschaft zur Verfügung stehen.“ 

Seltsam.

Vielleicht muss man in der „Gulf Times“ doch ein knappes Jahr zurückblättern, um herauszufinden, was zu diesem hohen Orden geführt haben könnte. Im Februar 2016 besuchte ein anderer Kroate, Andrej Plenkovic, den ölreichen Klein-Staat Katar. Plenkovic war zu jener Zeit immerhin der stellvertretende Vorsitzende des Aussenpolitischen Ausschusses des Europa-Parlaments, und ein hochrangiges Mitglied der Europäischen Volkspartei. Er kam auch nicht allein: mit ihm waren sechs weitere Parlamentarier, darunter zwei aus seiner Fraktion, aber auch der im vergangenen Dezember in Haft genommene Pier Antonio Panzeri.  Damals war die Kritik an der Geringschätzung der Menschenrechte im Zusammenhang mit dem Bau der Stadien für die Fussball-Weltmeisterschaft im Dezember 2022 gerade am Höhepunkt: Arbeiter wurden ausgebeutet, viele waren bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommen. Das hinderte freilich die Delegation, oder jedenfalls Plenkovic nicht daran, sich über die Gespräche in Doha laut „Gulf Times“ lobend zu äussern: „Offizielle Stellen in Katar haben uns versichert, und so sind wir optimistisch, dass sich die zuständigen Behörden um die Einhaltung der Menschenrechte und entsprechende Lebensbedingungen der Arbeiter kümmern werden. Katar hat uns auch darüber informiert, dass entsprechende Gesetze verändert werden, um die Arbeits- und Menschenrechte zu verbessern.“ Das muss wie Balsam auf die Seele der Königlichen Hoheit gewirkt haben, nachdem die Scheichs ständig mit Kritik  vor allem in westeuropäischen Medien konfrontiert waren. Plenkovic verabschiedete sich übrigens kurze Zeit danach aus dem Europa-Parlament und machte eine steile Karriere in seiner Heimat: im Sommer 2016 wurde er Parteivorsitzender der kroatischen HDZ, im September erzielte er bei den Parlamentswahlen die Mandatsmehrheit. Seit Oktober 2016 ist er Ministerpräsident Kroatiens. 

Ausschnitt aus den „Golf-Times“ vom 11. Februar 2016

Seltsam. Was sich bisher so anhörte, als wäre die Sozialistin Eva Kaili die einzige EU-Abgeordnete gewesen, die sich über die Menschenrechte in Katar lobend geäussert hatte, sieht das nach diesen Recherchen ein wenig anders aus. Ich will damit natürlich nicht unterstellen, dass nach jedem Besuch in Doha oder jeder positiven Erwähnung der Arbeitsbedingungen in Katar gleich Hunderttausende Euros geflossen sein müssen. 

Ich kannte sowohl Kaili als auch Panzeri und das Bindeglied Francesco Gorgi durch meine Tätigkeit im EU-Parlament mehr oder weniger gut. Kaili war als Abgeordnete völlig unauffällig, (sie kommt in meinen Eintragungen in Tagebüchern, die ich detailreich geführt habe, nicht ein einziges Mal vor) Panzeri war, wie ich, Mitglied im Aussenpolitischen Ausschuss. Ihm begegnete ich oft, wir waren auch gemeinsam auf einer Reise zu den Vereinten Nationen in New York, Gorgi war als Übersetzer seines Chefs Panzeri, der nicht Englisch sprach, fast immer dabei. Die jüngsten Anschuldigungen gegen die ehemaligen Kollegen bzw. die Kollegin trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. Nicht in den wildesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass – wenn sich das alles als wahr herausstellt – diese drei zu solchen kriminellen Handlungen fähig sein könnten. Auch ich hatte ständig mit internationalen Besuchern, von Botschaftern bis zu Aussenministern und MinisterpräsidentInnen zu tun, doch war bei diesen Begegnungen immer mindestens ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin dabei. 

Auch ganz banaler Lobbyismus spielt in Brüssel natürlich eine große Rolle. Jedes grosse Industrieunternehmen versucht auf seine Art, das Stimmverhalten von EU-Parlamentariern zu beeinflussen. Manche laden zum Frühstück ein, um dort die Vorteile der Firma und die Nachteile mancher legislativer Entscheidungen zu beschreiben. Andere veranstalten einmal im Jahr ein großes üppiges Fest mit Speis und Trank und werfen sich so den Abgeordneten an die Brust. Doch niemals schlug mir einer der Gesprächspartner ein Vier-Augen-Gespräch vor, das dann ähnliche Auswirkungen hätte haben können, wie bei Kaili, Panzeri oder Giorgi. Oder genauer: wie das, was ihnen jetzt vorgeworfen wird. Und Andrej Plenkovic? Wir sassen im gleichen Ausschuss, mit ihm war ich in Kiew, er war damals Delegationsleiter, ich lernte seine ausgeglichene, ruhige Gesprächsführung zu schätzen. Und doch frage ich mich, warum sein Besuch in Katar bis heute nirgends erwähnt worden ist?

Ich habe freilich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über diese  kriminellen Vorfälle noch ein anderes Problem. Raffaela Schaidreiter, die Brüssel-Korrespondentin des ORF, hat es in der „Zeit im Bild Zwei“ auf den Punkt gebracht: Schaden wird das insgesamt der Europäischen Union, weil die wenigsten Zuseher (oder Leser) zwischen den einzelnen EU-Institutionen unterscheiden können. Das hat freilich einen Grund: ich hätte mir bis zu diesem Vorfall gewünscht, dass mehr über die Tätigkeit dieser Volksversammlung, der  vielfältigsten, der multi-kulturellsten der Welt, berichtet wird. Für jedes österreichische Regierungsmitglied, das in Brüssel nur anstreift, gibt es eine Kamera und ein Mikrofon (oder einen Zeitungsartikel), im Parlament muss schon ausserordentlich viel passieren, dass eine Abstimmung oder eine lebhafte Debatte Eingang in die Berichterstattung findet.

Abbreviated Version in English

At first glance it looks as if only Social Democratic Members   had intimate contacts with the Gulf country that lead to the so-called „Qatar Corruption Scandal“. But one of the leading defendants, Pier Antonio Panzeri, was also member of a delegation which was led by Andrej Plenkovic, in 2016 deputy chairman of the EU-Parliament’s Foreign Relations Committee and a member of the EPP. The group (which included, among others, two more EPP parliamentarians and two from the Social Democratic Party) visited Qatar in February of that year and had only praise for the country’s efforts with regard to the Football World championship in 2022: „Qatari officials have given us concrete assurances on the issue and we are optimistic that the human rights and living conditions of the workers will be adequately taken care of by the authorities,“ Plenkovic was quoted at a press conference. (https://www.gulf-times.com/story/479577/european-mps-receive-assurance-on-labour-rights). About a year later, Plenkovic had already been elected prime minister of Croatia, president Kalinda Grabar-Kitarovic awarded „His Royal Highness,  Emir Sheikh Samin bin Hamad al-Thani, the highest  state order, The Grand Order of King Tomislav with Sash and Grand Morning Star.“ (https://www.gulf-times.com/story/613428/qatar-and-croatia-enjoy-advanced-strategic-ties). Quite a distinction for a leader of a country that, according to its own embassy in Zagreb, did not have any significant investments in Croatia. I do not imply there are any connections with the two events, let alone with the recent corruption scandal, but they certainly raise questions or, at least, are worth further investigations.