Knapp zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen trafen sich Kamala Harris und Donald Trump zur einzigen TV-Konfrontation dieses Wahlkampfes.
Wer gut abschneidet, muss diesen Eindruck jetzt noch sieben Wochen pflegen, wer durchfällt, hat die gleiche Zeitspanne, um alles – oder zumindest einiges – wieder gutzumachen. Doch wie haben sich die Kandidaten geschlagen?
Eigentlich hätte heute Nacht Joe Biden gegen Donald Trump diskutieren sollen. Es wäre das zweite Aufeinandertreffen der beiden alten Männer gewesen, „wäre“ wenn nicht. Ja, wenn nicht das erste so desaströs für Biden ausgefallen wäre und danach alle sehr schnell ging: der Präsident zog sich zurück, seine Vizepräsidentin wurde aufs Schild gehoben. Von den zwei alten Männern blieb nur noch einer übrig. Donald Trump. Und ihm gegenüber stand nun eine zwanzig Jahre jüngere Frau.
Es dauerte nur wenige Minuten bis Donald Trump sein Lieblingsthema auftischte: die Einwanderung: „Sie – Harris – und Biden haben dazu beigetragen, dass Millionen von Menschen, aus Gefängnissen, aus Krankenanstalten, aus psychiatrischen Anstalten über die Grenze strömen, Terroristen, Drogenhändler, mit Gewalt Städte übernehmen und ein Chaos hinterlassen.“ Eigentlich wollten die beiden Moderatoren dieses Thema erst später aufgreifen, doch Trump will damit unbedingt stechen. Es gelingt ihm auch, weil Harris dazu kaum etwas zu sagen hat, lieber auf das Wirtschaftsprogramm – ihres und das „katastrophale“ ihres Gegners – zu sprechen kommt.
Viele Themen, wenig konkretes
Nächstes Thema „Abtreibung“ – Trump wirft den Demokraten vor, Babies im neunten Monat, nach der Geburt, „hinrichten“ zu wollen, Kamala Harris’ Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz habe gesagt „es sei in Ordnung, ein Baby nach dem 9. Monat umzubringen“. Nur durch die weise Entscheidung von sechs Richtern des Obersten Gerichtshofs ist es nun den einzelnen Bundesstaaten überlassen, wie mit diesem Problem umgegangen wird. Harris schlägt zurück: Natürlich sei das wieder eine Lüge des Gegenkandidaten, es sei eine Beleidigung für Frauen, ihnen vorzuwerfen, eine Abtreibung im 9. Monat zu verlangen.
Trump kommt auf sein Lieblingsthema zurück: die Einwanderung. Wer geglaubt hat, es kann nicht tiefer gehen, wird eines Besseren belehrt. Trump wirft den Immigranten vor, Hunde, Katzen und andere Haustiere zu töten und zu essen – egal wo sie sind, die armen Tiere sind vor ihnen nicht sicher. Harris kann nur lachen. Das macht sie übrigens gerne und oft – gelegentlich führt sie auch ihre Hand ans Kinn und sieht Trump, kopfschüttelnd, ungläubig an.
Keine Antwort bekommt Moderator David Muir von Trump auf die Frage, ob er, angesichts der gewalttätigen Vorfälle am 6. Jänner 2021 (als ein wütender Mob das Capitol stürmte) irgendetwas bedauere. Selbst als die Frage wiederholt wird, reagiert der frühere Präsident mit seinem Lieblingshinweis, was gegen die Millionen Eindringlinge getan wird, die über die Grenze strömen.
Trump ist wütend, hasserfüllt
Nach einer Stunde ist eines klar: Trump verkörpert den wütenden, bösartigen, hasserfüllten, mit Lügen und Übertreibungen um sich werfenden Kandidaten, der sein Land während seiner Amtszeit als eines von Milch und Honig fliessenden bezeichnet. Harris schlägt gelegentlich hart gegen Trump zurück („Sie lieben Diktatoren, sie sind eine Schande!“) versucht aber einigermassen ausgleichend zu bleiben und nicht ständig die Vergangenheit neu aufzurollen.
Auch die Ukraine wird diskutiert: Trump wiederholt sein Mantra, unter ihm hätte der Krieg nie begonnen, jetzt würde er den Krieg in 24 Stunden beenden „Ich würde Putin anrufen, ich würde Selensky anrufen, und das Sterben von Millionen Menschen würde sofort aufhören. Und die Europäer würden mehr zahlen als wir…“
Harris hat eine Antwort parat: „Wir müssen unsere Freunde unterstützen und nicht unsere Feinde, wie es Trump mit den Diktatoren tut. Schauen Sie nur, wie er mit den Taliban umgegangen ist – er hat sie sogar nach Camp David eingeladen, diesen historisch so bedeutenden Ort.“
Im Schlusswort verweist Kamala Harris neuerlich auf die unterschiedlichen Visionen: „Er, Trump, spricht von der Vergangenheit, ich richte meine Blicke in die Zukunft. Meine Absicht ist es eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein.“ Trump wirft Harris zum Schluss vor, all das, was sie nun vorhat, hätte sie schon in den vergangenen dreieinhalb Jahren erledigen können. „Wir werden ausgelacht, wir sind ein Staat im Untergang. Sie zerstören unser Land, mit dem schlechtesten Präsidenten, der schlechtesten Vizepräsidentin aller Zeiten.“
Ein „totes Rennen“
Die letzten Umfragen in den USA sprechen von einem toten Rennen: zwischen Donald Trump und Kamala Harris liegt ein einziger Prozentpunkt (48 zu 47 Prozent) – betrachtet man die Fehlerquote von rund 3 Prozent nach oben und nach unten, lässt sich der Wahlausgang heute nicht vorhersagen. Die Analyse wurde noch vor der TV-Debatte erhoben, wobei auch ein weiteres interessante Detail heraus gekommen ist: die WählerInnen wissen von Harris zu wenig. Daran hat auch das langanhaltende und lautstarke Hurra für die erste farbige Kandidatin nach dem Abgang von Joe Biden nichts geändert. Immer noch sagt mehr als ein Viertel aller Wähler, sie wüssten gerne mehr über und von Kamala Harris, während Trump fast alle (bis auf 9 Prozent) für ein beschriebenes Blatt halten. Für Harris stand also heute viel auf dem Spiel. Die (jetzt einmal geschätzten) 50 Millionen Zuseher in den USA haben nun in jedem Fall ein besseres Bild von Kamala Harris. Ob es reicht, sie an die Spitze des Staates zu hieven, wird man wohl erst am 5. November wissen.
Oder doch schon heute? Es gibt da jemanden, der davon überzeugt ist.
Der Geschichtsprofessor setzt auf Harris
Er vergleicht seine Methoden mit der Position des Polarsterns: „absolut konstant“. Der Geschichtsprofessor Allan Lichtmann sagt voraus, wer die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnt. Und er hat seit 40 Jahren immer recht gehabt, mit einer Ausnahme – als im Jahr 2000 Al Gore das Rennen gegen George W. Bush verlor. Oder besser, als damals der Oberste Gerichtshof entschied, wer die Wahlen gewonnen hatte. Noch vor der heutigen TV-Debatte legte sich Allan Lichtmann auch diesmal fest: die Wahl wird Kamala Harris gewinnen. Für sie sprechen 8 von 13 Entscheidungsgrundlagen, die sich auf die Stärke und die Leistung des Weissen Hauses beziehen, nur zwei davon fokussieren auf die Kandidaten selbst. Alle andere betrachten das politische Umfeld. Also etwa: wie hat die Partei in den Zwischenwahlen abgeschnitten (also wo es um Parlaments- und Gouverneurswahlen geht); wie entscheidend ist ein eventueller dritter Kandidat, wie hat sich die Wirtschaft kurzfristig und längerfristig entwickelt; gab es soziale Unruhen; oder Fehler bzw. Erfolge in der Aussenpolitik. Einige Punkte sprechen laut Lichtmann für Trump (etwa, dass Biden selbst nicht mehr kandidiert), andere wiederum helfen den Demokraten („Die Wirtschaft ist NICHT in einer Rezession“ oder „Biden hat in wesentlichen Punkten die Politik geändert“, etwa was das Pariser Klimaabkommen betrifft, dem die USA wieder beigetreten sind). Jeder einzelne Punkt bringt einen Vorteil für den einen oder die andere Kandidatin – am Ende siegt, so sagt der Professor voraus, Kamala Harris relativ deutlich mit 5 Punkten. Eine gewagte Prognose. Nach der heutigen TV-Debatte könnte durchaus ein sechster Grund dazukommen.