Jimmy Carter 1924 – 2024

Ein unterschätzter Präsident und ein einmaliger Ex-Präsident ist gestorben

Der Nahe Osten – oder wie man das Gebiet in den USA besser beschreibt, „The Middle East“ – prägte die Amtszeit von Jimmy Carter (1977 bis 1981) wie kein anderes. Die Ölkrise liess die Preise an den Tankstellen in die Höhe schiessen (um das Heizen ein wenig billiger zu machen, schlug Carter vor – und illustrierte das auch an sich selbst – sich einen warmen Pullover anzuziehen); das Geiseldrama in Teheran, wo mehrere hundert amerikanische Diplomaten 400 Tage festgehalten wurden; der gescheiterte Befreiungsversuch, bei dem neun US-Soldaten ums Leben kamen; aber auch das Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten, die bis dahin mehrfach Krieg gegeneinander geführt hatten; auch Österreich hatte er besucht. Dort traf er mit dem sowjetischen Präsidenten Leonid Breschnew zusammen, um einen Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen zu unterzeichnen.  

All das musste der zum „Erdnussfarmer“ reduzierte frühere Gouverneur von Georgia in den vier Jahren seiner Zeit im Weissen Haus bearbeiten. 

1993, also ein gutes dutzend Jahre seit seinem unrühmlichen Abgang von der Spitze der Supermacht, war Jimmy Carter als Präsident längst vergessen – nicht jedoch seine Friedenstätigkeiten und sozialen Projekte, fast überall auf der Welt. Zu jener Zeit verfasste ich einen Bericht über Jimmy Carter für den ORF, nachfolgend ein Auszug davon:

Im Washingtoner Büro der Chicago Tribune beobachtet das Redaktionsteam die Arbeit  der einzelnen Präsidenten besonders genau. Die Zeitung gehört zu den angesehensten des Landes. Bürochef Timothy McNulty hat bisher über die Amtsführung von vier Präsidenten berichtet.  Drei davon sind nun Ex-Präsidenten. Einer heisst Jimmy Carter.

McNulty: “Er ist in vielerlei Hinsicht die Nummer Eins aller Ex-Präsidenten. Er ist jedenfalls ein viel besserer Ex-Präsident als er je ein Präsident war. Im Vergleich zu den anderen vier (Reagan, Ford, Nixon, Bush – Anm. d. Autors) ist er so etwas wie das Gewissen Amerikas, in vielen Bereichen, nicht nur innenpolitisch, wenn er darüber spricht, dass man Häuser für die Armen bauen muss, sondern auch im aussenpolitischen Bereich. Er ist sehr aktiv, wenn es darum geht, Konflikte zu bereinigen – vielleicht nicht die grossen weltpolitischen, aber zumindest im kleineren Rahmen.“

Jimmy Carter hatte gerade Nicaragua besucht, um sich dort über die triste Lage der Menschenrechte zu informieren. Danach hielt er zu diesem Thema mit Experten eine Konferenz in seinem „Carter Center“ in Atlanta im Bundesstaat Georgia ab:  „Das Problem ist, dass jedes Land Menschenrechte so definiert, dass es ihm am besten passt. Hier im Westen legen wir besondere Bedeutung auf die politischen Inhalte: Redefreiheit.  Religionsfreiheit. Versammlungsfreiheit. Pressefreiheit.  Während man in anderen Ländern viel mehr Bedeutung darauf legt, dass jemand ein zuhause hat, oder Arbeit, oder eine entsprechende Gesundheitsvorsorge….Wir können doch nicht von diesen Ländern erwarten, dass sie wirklich effektvoll mit dem Problem der Redefreiheit umgehen, solange die Menschen keinen Unterschlupf haben, nichts zu essen, keine Medikamente.  Die Konferenz wird definieren müssen, was Menschenrechte wirklich sind und was wir dazu beitragen können, um das Leid zu lindern. Und zwar in jedem Aspekt, nicht nur dann, wenn es darum geht, dass es möglichst nicht peinlich für dieses oder jenes Land wird….“ 

Ich frage Jimmy Carter, ob er irgendwelche Fortschritte im Bereich der Menschenrechte konstatiert: 

„Kaum einer. Natürlich gibt es jetzt mehr Organisationen, alle haben irgendetwas mit Beobachter-Komitees zu tun. Wir schauen was passiert und reagieren dann entsprechend…Aber sehen sie sich nur Somalia an, oder den Sudan oder 30 Jahre lang in Äthiopien, Mozambique, da reagierte die Welt reichlich spät, wenn überhaupt. Der einzige ermutigende Aspekt ist, dass die UNO in diesem weiten Feld von friedenserhaltenden oder friedensschaffenden Operationen nun viel selbstbewusster einschreitet – und das hat ja alles auch mit Menschenrechten zu tun. Das ist jedenfalls vielversprechend.“  

Angesichts des Krieges in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, im früheren Jugoslawien, ist es nur naheliegend, Jimmy Carter zu fragen, ob er eventuell bereit wäre, auch in diesem Konflikt vermittelnd einzugreifen.     

Carter: “Unsere Politik hier am Carter Center ist es, nicht andere zu kopieren oder das gleiche noch einmal zu unternehmen. Ich glaube, es reicht aus, dass nun sowohl von der UNO als auch von den Europäischen Gemeinschaften Unterhändler in Sachen früheres Jugoslawien unterwegs sind. Nur wenn man mich ausdrücklich fragen würde, von der UNO oder von einem bestimmten Land, dann würde ich gerne etwas unternehmen.“       

So wie damals, 1978, als er Israel und Ägypten dazu gebracht hat, das sogenannte Camp-David Abkommen zu unterzeichnen. Und damit den ersten Friedensvertrag zwischen den verfeindeten Brüdern im Nahen Osten. 

Jimmy Carter mit Cyrus Vance (li) und Zbginiew Brzezinski bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien (Foto: Eugen Freund)

Österreich – und nicht zuletzt auch österreichische Politiker – waren im Sommer 1979 Beobachter, als die beiden damals mächtigsten Männer der Welt, Jimmy Carter und Leonid Breschnjew, ihre Unterschriften unter das Abrüstungsabkommen Salt 2 gesetzt und es mit einem Bruderkuss auch quasi besiegelt haben …

Ich war damals als ORF-Berichterstatter auch schon dabei. Erinnern kann ich mich nur an einen besonderen Vorfall mit Jimmy carter. Der US-Präsident besuchte ein Konzert der Wiener Sängerknaben in einer Kirche in der Innenstadt. Ich stelle mich neben sein geparktes Fahrzeug und wartete auf ihn. Als er dann einsteigen wollte, rief ich ihm eine Frage zu. Weiter als zu „Mr. President…“ kam ich nicht. Schon packten mich vier starke Arme seines Security-Teams und warfen mich – gefühlt – ein paar Meter durch die Luft. Aus der Frage wurde nichts.

Aber ein paar Monate später dann die schwerste Demütigung: die Geiselnahme in Teheran. Über ein Jahr ist das Botschaftspersonal damals festgehalten worden. Jimmy Carters Rede zur missglückten Befreiung spiegelt die entmutigende Stimmung deutlich wieder. 

Jimmy Carter wurde abgewählt. Mit Beginn dieses Jahres sitzt nun mit Bill Clinton erstmals seit 1980 wieder ein Demokrat im Weissen Haus. Aber wann immer Clinton nun etwas falsch anfasst, wird auf Carters glücklose Präsidentschaft verwiesen. Was hält Jimmy Carter selbst von diesen Vergleichen ?                          

„Natürlich will man, dass die Amtszeit positiv bewertet und in entsprechender historischer Dimension betrachtet wird. Ich glaube, Bill Clinton hat ein ähnliches Problem wie ich es zu Beginn gehabt habe: es liegt einfach viel auf dem Tisch. Er versucht zu viel auf einmal zu erreichen. Und selbst wenn man sich in vielen Dingen durchsetzt, das, worüber geschrieben wird, ist das, was man nicht geschafft hat…Und wir haben nach vier Jahren einiges geleistet, auch was die Krisen dieser Zeit betrifft, im internationalen Bereich und zuhause – aber wir haben dem Kongress einfach zu viele Dinge vorgelegt und er war nicht in der Lage, sie alle zu erledigen.“

Jimmy Carter war acht Jahrzehnte mit Rosalynn verheiratet, sie starb vor rund einem Jahr. Die USA haben angesichts des Todes ihres früheren Präsidenten den 9. Januar 2025 zum nationalen Trauertag ausgerufen