Der OPEC-Überfall vor genau 50 Jahren blieb ungesühnt -war schlampige Polizeiarbeit schuld, dass eine Mörderin frei ging?

Ich hatte mir für die Weihnachtsfeiertage freigenommen. Meine Mutter und mein Großvater lebten in Kärnten, und dorthin war ich, am 21. Dezember 1975, unterwegs. Dass in Wien – mein Arbeitsplatz war der ORF, ich berichtete vorwiegend über die Innenpolitik – zu diesem Zeitpunkt ein Terrorakt verübt wurde, erfuhr ich erst am Abend in der Zeit im Bild und am nächsten Tag aus den Zeitungen. Die OPEC-Zentrale, schräg gegenüber der Universität, war von einem international gesuchten venezolanischen Terroristen namens Illich Ramirez Sanchez, besser bekannt unter seinem nom de guerre Carlos, und fünf weiteren Kommandomitgliedern überfallen worden. Die Sicherheitsmaßnahmen waren mehr als lax: der Polizist, der den Eingang bewachte, ließ die Gruppe, die in ihren Sporttaschen Sprengstoff, Gewehre und Pistolen mit sich trugen, ungehindert passieren. Zwei Kriminalbeamte waren im ersten Stock im Einsatz. Josef Janda und Anton Tichler, letzterer stand kurz vor seiner Pensionierung, waren unbewaffnet, das Gebäude galt als exterritoriales Gebiet. Drei Menschen wurden schon in der Anfangsphase des Überfalls, der sich danach zu einer Geiselnahme ausdehnte, erschossen: der Leibwächter des irakischen Erdölministers, Ala Saces al Khafazi, das libysche Delegationsmitglied Jussuf Izmirli und der Österreicher Anton Tichler. Er soll die englisch gestellte Frage einer Frau, ob er Polizist sei, bejaht haben. Daraufhin wurde er mit einem Schuss in den Nacken getötet. Insgesamt wurden über 60 Personen als Geiseln genommen, elf Minister der OPEC-Staaten sowie weitere Delegationsmitglieder und OPEC-Mitarbeiter. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky traf erst am Abend in Wien ein, er war zuvor aus Lech, seinem Urlaubsort, angereist. Hektische Verhandlungen führten schließlich dazu, dass den Terroristen samt ihren Geiseln für den nächsten Tag die Ausreise mit einem AUA-Flugzeug aus Wien Schwechat zugesagt wurde. Am Flughafen kam es zum denkwürdigen Handschlag zwischen Innenminister Otto Rösch und dem Terroristen Carlos. Rösch, der sich damit rechtfertigte, die Hand „im Reflex“ entgegen genommen zu haben, bekam das Stigma nie mehr los.
Dieser Tage stieß ich auf eine Ausgabe des deutschen Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL aus dem Februar 1983. Ein ausführlicher Artikel befasste sich, siebeneinhalb Jahre nach dem Attentat, nochmals mit dem Überfall auf die OPEC-Zentrale. Laut dem SPIEGEL klärte kein österreichisches Gericht diesen Überfall je völlig auf. Eine der vermutlichen Mittäterinnen, die deutsche RAF-Angehörige Gabriele Kröcher-Tiedemann, die den Polizisten Anton Tichler erschossen haben soll, sei – so das österreichische Justizministerium – „eindeutig der deutschen Terroristenszene zugerechnet worden.“ Sie war erstmals im Juli 1973 in Bochum bei einem Schusswechsel mit einem Polizisten, der schwer verletzt wurde, aufgefallen. Sie wurde gefasst und zu acht Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Aus den acht Jahren wurden jedoch nur zwei: Die Terroristin wurde nach der Entführung des deutschen CDU-Politikers Peter Lorenz freigepresst. Rechtzeitig, um nur wenige Monate später am OPEC-Überfall teilzunehmen. Sie wusste allerdings nicht, dass ihr ein Foto, das im Zusammenhang mit der Lorenz-Entführung gemacht wurde, zum Verhängnis werden würde. Mithilfe dieser Aufnahme, so berichtet der SPIEGEL, hätten sie viele Zeugen als eine der Mittäterinnen des Anschlags in Wien identifiziert. Laut dem saudischen Erdölminister Ahmed el Jamani soll sie damals, an Carlos gerichtet, gesagt haben: „Ich habe zwei umgebracht!“
Zwei Jahre später war sie wieder in Österreich aufgetaucht. Nicht als Touristin, sondern wieder als Terroristin. Sie soll an der Entführung von Walter Michael Palmers am 9. November 1977 beteiligt gewesen sein. Palmers wurde nach der Zahlung von viereinhalb Millionen Mark vier Tage später freigelassen. Alle Täter entkamen, österreichische Mithelfer, vorwiegend Studenten, kamen mit mehrjährigen Freiheitsstrafen davon. Auch Kröcher-Tiedemann landete im Gefängnis. Allerdings weder wegen des OPEC-Überfalls, noch wegen der Palmers-Entführung. Sie war nach einer Schießerei in der Schweiz, bei der sie zwei Polizisten schwer verletzt hatte, verhaftet worden. In ihrem Gepäck fanden die Schweizer Behörden markiertes Lösegeld aus der Palmers-Entführung. Rund zwei Drittel der fünfzehnjährigen Haft verbrachte Kröcher-Tiedemann in einem eigens für sie errichteten Sondertrakt des Frauengefängnisses von Hindelbank. Im Dezember 1987 wurde sie nach Deutschland überstellt, wo ihr der Prozess wegen des Überfalls und der Morde in der OPEC-Zentrale gemacht wurde. Die österreichischen Behörden waren dabei nicht sehr hilfreich. Obwohl klar war, dass die Terroristen keine Handschuhe getragen hatten, wurden im Gebäude keine Fingerabdrücke genommen, auch die Zeugenaussagen waren nicht verwertbar. So wurde Kröcher-Tiedemann für diesen Tatvorwurf freigesprochen. 1991 – sie hatte sich inzwischen vom Terrorismus distanziert – wurde sie entlassen. Im darauffolgenden Jahr erkrankte sie an Krebs und starb im Oktober 1995 im Alter von 44 Jahren. Die Morde in Wien blieben ungesühnt.